Tal der Tausend Nebel
mit ihr los war, aber sie war seit ihrer Genesung alles andere als ausgeglichen. Auch in diesem Moment, als sie Kelii um die Mammutbäume herum folgte, wurden die übermütigen Saltos der Schmetterlinge in ihrem Inneren von einer plötzlichen Kälte abgelöst. Was sie in diesem Moment tat, war Unrecht. Auch die Nächte, in denen sie ihm in sein Reich folgte, waren mehr als tabu in ihrer eigenen Kultur. Warum verbrachte sie überhaupt so viel Zeit mit Kelii? Es war ohnehin sinnlos, denn wenn die Pläne ihres Onkels aufgingen, würde Elisa vielleicht sogar auf eine der anderen Inseln verheiratet werden.
Ihre Sorge hatte sie einmal mit Kelii erörtert, aber er hatte nur entschieden den Kopf geschüttelt. Elisa würde auf Kauai heiraten, hatte er gesagt und dabei geheimnisvoll gelächelt. Dann hatte er noch hinzugefügt, dass Großvater Hai es ihm verraten hatte und es deshalb gar nicht anders geschehen konnte. Elisa hatte nicht weiter nachgefragt, aber die stille Überlegenheit ihres Freundes machte sie bisweilen spontan zornig. Sie war es nicht gewohnt, mit jemandem umzugehen, der geheimnisvoll und gleichzeitig so anziehend war, dass es ihr bisweilen völlig den Atem nahm.
Elisa hielt kurz inne und lehnte sich an einen der großen, roten Bäume, um ihr Bein auszuruhen. So als ob er spüren würde, dass Elisa einen Moment Pause braucht, wartete Kelii einen Baum weiter. Kurz sah er zu ihr hinüber, dann blickte er schnell hoch zum Wasserfall. Doch der Moment, in dem sich ihre Blicke kreuzten, hatte Elisa gezeigt, dass auch Kelii beunruhigt war. War es für ihn wirklich belanglos, sie ganz ohne Kleidung zu sehen? Es stimmte, er sah die jungen Frauen seiner Sippe fast täglich nackt. Elisa wusste, dass eine von ihnen schon bald seine Braut werden würde. Nur wenige Male würde es noch Vollmond werden, bevor an dem großen Felsen Keliis Hochzeit zelebriert werden würde. Aber was bedeutete eine Hochzeit unter Hawaiianern überhaupt? Spielte die Jungfräulichkeit der Braut eine wichtige Rolle?
Elisa hatte es bisher nicht gewagt, ihrem Freund diese Fragen zu stellen. Aber sie wusste, dass die Kinder im Dorf gewöhnlich erst nach der Vermählungszeremonie zur Welt kamen. Dennoch hatte sie mehrmals gesehen, wie beneidenswert zwanglos hawaiische Jugendliche miteinander umgingen. Beim nachmittäglichen Bad am Wasserfall, aber auch am Strand, wo Kelii begonnen hatte, ihr das Schwimmen beizubringen, waren die Jugendlichen bis auf ein Lendentuch unbekleidet. Gelacht hatten die jungen Frauen über Elisas Badekleid. Sie hatte auf Keliis Geheiß freundlich zurückgelacht, aber innerlich war sie tausend Tode gestorben. Hinter Kelii her war sie in die seichten Wellen gehumpelt. Wie hässlich sie war, im Gegensatz zu den goldbraunen jungen Gazellen, die Kelii Worte zuriefen, die Elisa nicht verstehen konnte. Waren es Worte des Spottes? Eine der Hübschen war näher gekommen. Sie sprach passables Englisch, und Elisa erfuhr, dass das Mädchen Keliis Schwester Leilani war. Aber es gab noch andere Schönheiten, die Kelii mit Blicken musterten, die Elisa leicht deuten konnte. Er war ein begehrter junger Mann.
Elisa löste sich aus ihren Gedanken, indem sie tief ausatmete. Sie ging weiter hinter Kelii her. Von ihrem Vater hatte sie als Kind gelernt, dass sich nicht verhindern ließ, dass auch die schönen Zeiten zu Ende gehen. Das Schicksalsrad drehte sich nie für jeden in der gleichen Geschwindigkeit. Deswegen soll man den Moment auskosten, solange es geht.
Sie waren am Wasserfall angekommen. Das Tosen war jetzt so laut, dass sie schreien mussten, um sich zu verständigen. Elisa spürte, wie schwer ihr Herz mit einem Mal wurde. Allein die Vorstellung, dass sie von ihrer romantischen Schwärmerei für Kelii in Kürze würde Abschied nehmen müssen, war ihr unerträglich. Aber sie würde ihn das ganz gewiss nicht spüren lassen.
Er stand jetzt neben ihr. Sein Brustkorb hob und senkte sich wie ihrer von der Anstrengung. Sie hätte lediglich ihre Hand nach ihm ausstrecken müssen, um die tiefe Verbindung ihrer Seelen zu spüren. Aber Elisa nahm sich in diesem Augenblick fest vor, genau das nicht mehr zu tun.
Um die knisternde Spannung zwischen ihnen zu brechen, nahm Elisa eine Handvoll Wasser. Mit einem plötzlichen Lachen, laut und ganz und gar nicht einer jungen Dame entsprechend, spritzte sie ihren Freund damit übermütig voll. Dann betrat sie mutig den ersten Felsen, der aus dem Wasser ragte, um zur anderen Seite des Wasserfalls zu
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