Tal der Tausend Nebel
Schönheit, aber ihre Tante schnaubte nur unwillig.
»Schönheit! Als ob es darum im Leben einer Frau gehen würde … Unsere Aufgabe ist eine andere, Elisa. Auch wenn du die Erwartungen, die Paul und ich an deine Eheschließung mit Gerit Janson geknüpft hatten, in diesem Jahr nicht erfüllen willst, deinem Schicksal als Frau kannst auch du nicht entgehen.«
Elisa schwieg, während sie ihrer Tante das Haar zu einem lockeren Zopf band und mit Schrecken feststellte, dass Katharina sogar einige vollständig kahle Stellen hatte.
»Ich habe es mir nicht ausgesucht, so schnell nacheinander vier Kinder zu bekommen, noch dazu so viele Töchter. Und glaube mir, Elisa, auch deinem Onkel wäre es anders lieber gewesen. Aber wir Frauen haben keine Wahl. Wir können von Glück sagen, wenn wir unsere Geburten überhaupt überleben. Deine Mutter, die hat es gut gehabt. Sie hatte nur ein Kind, das sie großziehen musste. Umso mehr enttäuscht es Paul und mich, ehrlich gesagt, dass sie uns so wenig zur Seite steht. Wir empfinden Clementia vor allem als eine Belastung, auch in finanzieller Hinsicht. Nur gut, dass du ihren Ausfall in letzter Zeit ein wenig wettmachen möchtest. Das nehmen wir dankbar an.«
Elisa erschrak. So hatte sie die Situation noch gar nicht gesehen. Aber tatsächlich war Clementia seit ihrer Ankunft auf Kauai fast durchweg krank gewesen. Inzwischen hatte sie Unsummen an Arztkosten verursacht, und eine Besserung war nicht zu erwarten. Die neue Mischung der Opiat-Tropfen, die sie einnahm, war angeblich ein Wundermittel und wurde extra aus China importiert. Tatsächlich sah Elisa aber keine bessernde Wirkung, außer dass die Tropfen einen guten Teil ihrer monatlichen Apanage verschlangen. Darin musste sie ihrer Tante recht geben. Auch die häufigen Konsultationen des Arztes halfen kaum.
Sie dachte kurz darüber nach, ob sie ihrer Tante sagen sollte, was laut Kelii unter den Einheimischen über den Arzt gemunkelt wurde. Er sei ein Scharlatan, hieß es, und seine angeblichen Wundertropfen kämen nicht aus China, sondern seien ein billiges lokales Opiat. Aber Elisa traute ihrer Tante nicht genug. Stattdessen erzählte sie ihr mit gespielter Unbeschwertheit, dass sie ihrer Mutter gerade vorgeschlagen hatte, auf die teuren verordneten Tropfen zu verzichten. Das grüne Pulver aus den Wasserpflanzen war auch Katharina als volkstümliches Heilmittel bekannt. Sie hatte die Wirkung verschiedentlich beobachten können und hatte ein wenig davon in ihrem Medizinschränkchen. Ob es auch gegen ihre Migräne half?
Jetzt war Elisa in ihrem Element. Kelii hatte ihr gesagt, dass die Wirkung der Pflanze in ein wenig Alkohol stärker sein würde. Elisa mischte für Katharina einen Trank aus ein wenig Schlafwein, den ihr Onkel am Bett aufbewahrte, und dem grünen Pulver. Kurz darauf tat die Heilpflanze ihre Wirkung. Elisa bemerkte, wie Katharina wohlig zu seufzen begann, nachdem sie ihr Glas geleert hatte. Mit einem Mal wirkte ihr Gesicht fast weich und wieder jugendlich.
»Ach, Elisa, jetzt geht es mir schon besser. Meinst du, ein wenig mehr Luft im Raum würde mir guttun? Ich bin so schläfrig und möchte ruhen, bevor einer der vier Quälgeister wieder nach mir verlangt …«
Ihre Tante konnte kaum mehr ihre Augen offen halten. Elisa fing gerade noch das Glas auf, bevor der Schlaf Katharina in sein heilendes Reich trug. Es war wirklich ein erstaunlich wirksames Pulver, fand Elisa, als sie die Gesichtszüge der Schlafenden ansah. Fast so etwas wie ein Lächeln umspielte ihre sonst so verhärmten Gesichtszüge. Elisa vermutete, dass das grüne Pulver ihr soeben einen besonders schönen Traum schenkte. Vielleicht war sie endlich das unbeschwerte junge Mädchen, das sie nie hatte sein dürfen.
Mit einem Anflug plötzlicher Zärtlichkeit deckte Elisa ihre Tante mit dem Laken zu. Dann öffnete sie die Vorhänge und die Tür, um auch in dieses Krankenzimmer mehr Luft und Sonne einzulassen.
»Elisa! Wo bleibst du denn?«
Die wütende Stimme ihres Onkels ließ Elisa zusammenzucken. Sie warf einen letzten Blick auf Katharina, die jetzt friedlich und entspannt schlief. An der Wand über dem Kopfende des Bettes zeichnete die Sonne ein helles Muster. Es sah aus wie ein Stern.
Elisa lief eilig über den Hof, hinüber zum Haupthaus, wo ihr Onkel Paul jetzt mit seinen drei kleinen Töchtern auf sie wartete. Ungeduldig sah er auf die Uhr, während die dicke Amala mit dem Säugling unglücklich neben ihm stand. Es hatte wohl Ärger gegeben,
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