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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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ja gerade erst angekommen und habe mich noch nicht einmal bei meinen Eltern gemeldet …«
    Er lächelte sie weich an. »Aber Ihre Vorliebe für das Herumbrüllen werde ich mir merken, Elisa. Sie sind also gar keine wohlerzogene junge Dame? Als was soll ich Sie dann bezeichnen …?«
    Johannes tat so, als müsste er nachdenken, während er geschickt ein paar Arbeitern mit Lasten auswich, die an dem Pferdefuhrwerk vorbeimussten. Elisa errötete. Ihr plötzliches Gefühl von Unsicherheit hatte seine Ursache nicht etwa darin, dass sie sich schämte, sondern dass ihr Johannes gefiel. Ihr Vater hatte recht gehabt. Der hoch gewachsene junge Mann, der ihr gegenüberstand, hatte einen natürlichen Charme. Er wirkte aber auch sehr entschlossen und vor allem wach und intelligent. Johannes sah trotz seiner Jugend sehr männlich aus, stellte Elisa fest, ganz im Gegensatz zu Elisas Onkel. Paul Vogel strahlte schon immer etwas Weiches und Unentschlossenes aus. Auch sprach Johannes sein vollendetes Deutsch mit einer weichen, tiefen Stimme, die Humor und Sinnlichkeit verriet und Elisa auf Anhieb angenehm berührte.
    Die Arbeiter waren jetzt an ihnen vorüber. Johannes kam erneut näher, um Elisa seinen neuesten Geistesblitz mitzuteilen.
    »Jetzt weiß ich, wie ich Sie einzuordnen habe, Fräulein Vogel! Sie sind ein Blaustrumpf, in der Gesinnung ähnlich radikal wie die jetzige Königin von Hawaii. Sie haben vor, den Männern auf den hawaiischen Inseln zu zeigen, wie man die Welt regiert … Nein, das wäre als Wirkungskreis für eine Frau mit Ihren geistigen Kapazitäten noch viel zu kurz gefasst. Sie sind eine dieser modernen jungen Damen, die Männern gegenüber grundsätzlich Überlegenheit demonstrieren.«
    Elisa runzelte gereizt ihre Stirn, aber Johannes sprach unverdrossen weiter.
    »Oder, verehrte Elisa, gehören Sie vielleicht eher zu der Abteilung weiblicher Wesen, die wir auf unserer Universität liebevoll Kratzbürsten nannten?«
    Jetzt lachte Johannes gutmütig, aber Elisa hätte sich am liebsten vor lauter Ärger auf die Zunge gebissen. Das hatte sie nun von ihrer unbedachten Äußerung. Musste sie auch immer gleich anecken? Konnte sie nicht endlich lernen, ihre Gedanken für sich zu behalten?
    »Johannes! Ich warte im Kontor!«
    Die laute Stimme ihres Onkels riss Elisa aus ihren Gedanken. Gerne hätte sie sich weiter mit Johannes unterhalten, aber auch er hatte zu tun. Kaum zurück, wurde er bereits im Kontor gebraucht, wie er erklärte. Nur eine letzte Frage musste Elisa noch stellen, obwohl Johannes bereits dem Ruf ihres Onkels folgte. Sie rief ihm hinterher: »Warum sind Sie wirklich früher als geplant nach Kauai zurückgekommen? Und warum wissen Ihre Eltern noch nichts davon?«
    Johannes antwortete ihr nicht, aber er drehte sich mit seinem umwerfend charmanten Lächeln noch einmal kurz nach Elisa um.
    »Später, ja … Wir sehen uns doch sicher bald wieder …?« Damit war er im Kontor verschwunden.
    Elisa freute sich auf den Abend, sobald sie von Amala erfuhr, dass Johannes’ Rückkehr gefeiert werden würde. Ihr Onkel hatte in der Küche alles Notwendige veranlasst. Zu dem Essen würden neben Johannes auch seine Eltern geladen werden. Da Frau van Ween die oberste Köchin der Plantage war, hatte Elisa bisher noch nie mit ihr an einem Tisch gesessen und war gespannt. Nur in der Küche und in den Wirtschaftsräumen hatten sie sich bisher ein paar Mal unterhalten.
    Elisa mochte die quirlige Person mit den blitzblauen Augen, die ursprünglich aus Pommern stammte. Sie war Onkel Paul vor fünfzehn Jahren aus dem Haushalt der Großeltern Vogel auf die hawaiischen Inseln gefolgt, um ihre befleckte Vergangenheit hinter sich zu lassen, wie Elisa von ihrer Mutter wusste. Dieser Vergangenheit entstammte das uneheliche Kind Johannes.
    Von sich aus sprach Marie van Ween nie über ihre Zeit in Deutschland. Für sie gab es nur Kauai. Mit ihrem holländischen Mann, den sie drei Jahre nach ihrer Ankunft auf der Insel kennengelernt hatte, bekam sie rasch hintereinander noch weitere drei Kinder. Sie wuchsen barfuß und wild auf wie die Inselkinder. Alle waren rothaarig und sahen aus wie ihr Vater. Böse Zungen behaupteten, Marie van Ween legte größeren Wert auf ihre Arbeit als auf ihre verwahrlosten Kinder, die immerzu in Schwierigkeiten zu geraten schienen. Einzig und allein ihren Sohn Johannes würde sie lieben, hieß es, und die drei Kinder des Holländers hätte sie angeblich nach der Geburt am liebsten in der Regentonne

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