Tal der Tausend Nebel
Keiner der jungen Männer trat als der Vater vor. Keine der Freundinnen wusste von einer heimlichen Liebe. Doch erst nachdem Leilani es nicht mehr länger aushielt und sich ihrem Bruder anvertraute, wurde Noelanis Selbstmord auf Wunsch ihrer Eltern weiter untersucht.
Keliis Vater wurde als Oberhaupt des Dorfes mit der Aufgabe betraut, wegen Noelanis Tod mit Paul Vogel zu sprechen. Zunächst wurde er an der Tür zum Kontor brüsk abgewiesen, doch er gab nicht auf. Stur wartete der Weißhaarige mit seinem Sohn und seiner ältesten Tochter bis nach Sonnenuntergang auf den Plantagenbesitzer. Zu dritt stellten sie ihn wegen des Vergehens seines Verwalters zur Rede. Eine solche Anschuldigung sei völlig absurd, wetterte Paul Vogel. Nie im Leben würde Piet van Ween eins der Kanaka-Hausmädchen auch nur ansehen, geschweige denn anfassen oder vergewaltigen. Sein Verwalter sei glücklich verheiratet und zudem ein Europäer von Bildung und Ehre.
Doch jeder auf der Plantage wusste, dass das nicht stimmte. Die Ehe der van Weens war alles andere als glücklich. Piet van Ween trank regelmäßig zu viel von seinem selbstgebrauten Schnaps, wurde dann ausfällig und verhielt sich oft unnötig brutal gegenüber den Arbeitern, aber auch gegenüber seiner Familie. Marie van Ween hatte seit der schwierigen Geburt ihres letzten Kindes zudem wegen eines angeblichen Frauenleidens nicht mehr das Schlafzimmer mit ihrem Mann geteilt. Auch war Piet van Ween kaum gebildet und vor allem war er kein europäischer Ehrenmann.
Aus unbekannten Verhältnissen stammend war Piet van Ween als einfacher Matrose vor über zwanzig Jahren in Lihue von seinem Schiff zurückgelassen worden, als es zurück nach Holland fuhr. Angeblich hatte er es selber so entschieden, weil er Land erwerben wollte. Doch es gab zu dieser Zeit einen Eintrag im lokalen Gefängnis. Piet van Ween hatte seinen Steuermann beim Kartenspiel betrogen und wurde von seinem Kapitän im Gefängnis von Lihue zurückgelassen, weil keiner aus der Mannschaft für ihn sprechen wollte.
Als Piet nach einem halben Jahr entlassen worden war, hatte er keinen Cent. Zunächst verdingte er sich als einfacher Arbeiter auf verschiedenen Plantagen. Nur weil er ein Weißer war, wurde er relativ schnell zum Vorarbeiter. Schließlich machte man ihn auf einer Plantage sogar zum Verwalter, weil die Arbeiter unter seiner strengen Hand ein besonders hohes Pensum lieferten. Aber er machte sich keine Freunde, denn sein aufbrausendes Temperament und seine großspurige Art eckten unter den Europäern an. Geld war van Weens höchstes Ziel. Neben seiner Arbeit als Verwalter häufte er sich mit der Zeit durch Glücksspiel und das Brennen von Schnaps so viel Vermögen an, dass es zumindest für anständige Kleider und ein Pferd reichte.
Als er Jahre später um Marie van Ween warb, war es nicht etwa die Zuneigung zu ihr, die ihn zu Höchstformen auflaufen ließ, sondern reine Berechnung. Denn es hatte sich unter den wenigen Europäern längst herumgesprochen, dass die Angestellte von Paul Vogel ein uneheliches Kind hatte. Trotz des Mangels an weißen Frauen war das ein Makel, der sich nicht leicht wegwischen ließ, da er mangelnde Tugend signalisierte. Und eine Frau, die ihrem Zukünftigen möglicherweise Hörner aufsetzen würde, die wollte selbst ein Piet van Ween nicht an seiner Seite.
Aber Paul Vogel ließ seine Beziehungen spielen. Für ihn war es nicht von Vorteil, dass seine Hauswirtschafterin keinen Mann hatte, denn das sorgte für Gerüchte. Also bürgte er bei Piet van Ween für Maries Aufrichtigkeit, als er bei ihm für den Posten des Verwalters der neu eröffneten Plantage vorsprach. Marie zu ehelichen, war sozusagen ein Teil ihrer Vereinbarung. Dafür würde er auch ein höheres Gehalt bekommen sowie ein hübsches Wohnhaus auf der Plantage. Auch ein kleines Stück eigenes Land war im Gespräch. Alles in allem ein verlockendes Paket für den Junggesellen, vor allem, weil die junge Mutter Marie tüchtig und noch dazu ansehnlich war.
Piet ließ seine Zukünftige über sein Vorleben im Unklaren. Wie mit Paul Vogel vereinbart, trat er seine neue Stellung auf der Plantage frisch rasiert und mit einem Geschenk für den Jungen an. Und schon bald hatte er sein Ziel erreicht.
Aber in Lihue und selbst in Keliis Dorf war bekannt, dass Piet van Ween sich vor seiner Hochzeit oft mit sehr jungen Mädchen vergnügt hatte, allerdings waren es käufliche Mädchen gewesen.
Da Keliis Vater bei Paul Vogel zunächst nicht
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