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Tal der Tausend Nebel

Tal der Tausend Nebel

Titel: Tal der Tausend Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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einen gerechten und gütigen Gott glauben können.«
    Elisa schossen Tränen der Empörung in die Augen. Sie dachte daran, wie sie mit Kelii über das Vaterunser gesprochen hatte und er sich mit einem milden Lächeln ihre Belehrungen hatte gefallen lassen. Johannes fuhr fort.
    »Für die Inseln sind wir Weißen alles andere als Heilsbringer. Seit Kapitän Cook hatten die meisten, die hierher kamen, lediglich vor, sich zu bereichern. Die Missionare haben Segen im Jenseits versprochen, während skrupellose Plantagenbesitzer einfache Arbeiter für ihre Zwecke ausbeuteten. Ich habe mich vor Leilani und Kelii immer schon dafür geschämt, Elisa, weil ich zur Rasse der Ausbeuter gehöre. Verstehen Sie das?«
    Elisa nickte vorsichtig. Sie sah, wie verstört Johannes mit einem Mal war, und vermutete auch noch einen weiteren Grund, der schmerzhaft konkret war.
    »Fühlen Sie sich vielleicht auch wegen Ihres Vaters … und des Todes der kleinen Noelani … in irgendeiner Weise verantwortlich?«
    Johannes warf ihr einen unsicheren Blick zu.
    »Piet van Ween ist nicht mein Vater, sondern nur mein Stiefvater. Und wenn Sie mich fragen, Elisa, dann ist es zwar sehr schlimm, falls dieses Gerücht sich bewahrheiten sollte, aber es gibt noch viel Schlimmeres!«
    Unheilvolles Schweigen stand wie eine Wand zwischen ihnen. Derartig durchdringend sah er sie jetzt an, dass sie begann, einen Anflug von Furcht zu empfinden. Sie glaubte, etwas wie einen Funken von Fanatismus in seinem Blick zu erkennen, als er hastig weitersprach. Seine Stimme war jetzt nur noch ein Flüstern, als er sich zu ihr beugte. Die drei Mädchen sollten keinesfalls auch nur ein einziges Wort mitbekommen.
    »Ihr Vater war ein Ehrenmann, Elisa. Aber leider muss ich Ihnen sagen, dass Ihr Onkel das nicht ist. Und seine Frau Katharina ist berüchtigt für ihre Gier und ihre Grausamkeit den Hawaiianern gegenüber. Es ist nicht nur die kleine Noelani, die ihr Leben lassen musste.«
    Elisa sah ihn erschrocken an.
    »Wie meinen Sie das?«
    Johannes lächelte bitter.
    »Sie waren wohl bisher noch nie in Lihue bei einem Treffen der Hibiskus-Damen, oder sollte ich besser sagen: den Mörderinnen von unzähligen hawaiischen Mädchen?«
    Ungläubig sah sie ihn an. Johannes musste verrückt geworden sein. Vorsichtig fragte sie nach.
    »Sie meinen den Wohltätigkeitskreis um Frau Borchert, der Frau unseres neuen deutschen Pfarrers, sowie auch Mrs. Gladbury, der Gattin unseres englischen Apothekers? Das sind die einzigen beiden Hibiskus-Damen, die ich bis jetzt persönlich kenne. Sie sehen allerdings eher harmlos aus …«
    Sie unterstrich ihre Aussage durch eine Geste, die auf die gemütliche Korpulenz der Damen abzielte.
    Johannes lachte kurz auf, denn Elisa konnte wirklich sehr amüsant sein.
    »Ja, da haben Sie recht. Vom Aussehen her stellt man sich unter einer Mörderin wirklich etwas anderes vor.«
    Er beugte sich nah zu ihr, um Elisa verschwörerisch etwas ins Ohr zu flüstern.
    »Waren Sie bereits einmal zu einem der Treffen eingeladen?«
    Elisa schüttelte den Kopf und flüsterte zurück.
    »Erst nach meiner Hochzeit, sagt meine Tante. Davor sei ich angeblich zu unreif … Aber wieso nennen Sie diese Damen Mörderinnen? Wen sollen sie denn auf dem Gewissen haben?«
    Johannes blickte jetzt ernst und traurig zu Boden. Er zögerte, so als müsste er einen Augenblick überlegen, ob es richtig sei, Elisa mit solch einem Wissen zu belasten. Doch dann entschied er sich zu sprechen.
    »Leider muss ich Ihnen sagen, dass diese Damen alles andere als Wohltäterinnen sind. Sie kennen doch das Haus der Hafenmädchen von Lihue?«
    Elisa errötete. Sie hatte zwar von dieser Einrichtung gehört, aber es ziemte sich nicht, über diese Dinge zu sprechen. Zögernd nickte sie, sodass Johannes fortfuhr.
    »Jeder kennt das Haus oder hat es zumindest schon einmal gesehen. Man kommt ja gar nicht daran vorbei. Also … die jungen Mädchen, die dort zwangsweise leben, sind unverheirateten Männern und Matrosen auf Landurlaub zu Willen. So weit so gut. Ein solches Haus gibt es in fast allen Hafenstädten der Südsee … nur hat dieses Haus etwas Besonderes. Und damit meine ich nicht nur die rote Farbe.«
    Elisa sah ihn neugierig an. Gerade weil es sich nicht gehörte, über diese Dinge zu sprechen, hing sie an Johannes’ Lippen.
    »Genauer gesagt haben die Mädchen des roten Hauses etwas Besonderes an sich. Sie sind alle tiefgläubige Christinnen, von unserem letzten Pfarrer zu Keuschheit und

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