Tal der Tausend Nebel
leer. Feindschaften, die sich seit Generationen um Geld und Besitz rankten, Familienstreitigkeiten und dunkle Geheimnisse, davon konnte sie auch in ihrer deutschen Familie ein beschämendes Lied singen. Auf der Seite ihrer adeligen Mutter bekämpften sich inzwischen zwei mächtige Familienzweige seit über einem Jahrhundert. Aber war dieser magische Abend mit Keanu in den südländischen Gerüchen Nizzas nicht zu wertvoll, um in der trüben Suppe menschlichen Versagens zu rühren?
Während er ihr aufmerksam Wein und Wasser nachschenkte, wechselte sie geschickt das Thema und sprach Zukunftspläne an. Auch Keanu war verlobt, wie sie jetzt erfuhr. Er wollte zu Sylvester heiraten, wenn alles gut gehen würde. Es gab auf Kauai seit langer Zeit zu Neujahr einen traditionellen Ball zum Auftakt des neuen Jahres. Beim letzten Hibiskus-Ball hatte sich Keanu verlobt. In diesem Jahr sollte der eheliche Bund beim wichtigsten jährlichen Fest mit einer großen Gästeschar besiegelt werden. Mehr als vierhundert Familienmitglieder von den anderen Inseln wurden erwartet. Danach wollte seine zukünftige Frau ein Jahr aufs Mainland an die UCLA , um ihr Studium zu beenden. Keanu würde sich so lange in ihrer Nähe eine Stelle als Referendar suchen.
»Leilani möchte Kinderärztin werden. Sie ist sehr talentiert …«
Er erzählte Maja wahre Wunderdinge über die Talente und Tugenden seiner zukünftigen Frau, zumindest klang es in Majas Ohren so. Dann zeigte er ihr ein Foto. Seine Zukünftige war im Gegensatz zu Keanu eine Hawaiianerin reinen Blutes, ohne geheimnisvolle deutsche Urahnin. Kein Europäer, Amerikaner oder Asiate hatte je in ihre traditionelle Familie einheiraten dürfen. Selbst bei Keanu hätte Leilanis strenge Mutter deswegen zunächst den Kopf geschüttelt, wie er mit einem Lächeln sagte. »We don’t mix the blood!«, hatte seine zukünftige Schwiegermutter gesagt und sich damit auf den Rat der traditionellen Kahuna bezogen.
Aber Leilani hatte ihre Familie schließlich überzeugen können, denn Keanu und sie kannten sich bereits seit vielen Jahren. Keanus bester Freund seit Kindertagen war Leilanis großer Bruder und so eine Empfehlung zählte selbst bei den Traditionalisten seines Volkes.
Maja kramte jetzt ebenfalls in ihrer Handtasche. Neben das Bild der umwerfend hübschen Hawaiianerin mit der Hibiskusblüte hinter dem Ohr legte Maja ihr deutsches Pendant in Liebesdingen. Stefan war blond, blauäugig, sehr groß und zeigte auf dem Foto sein Gewinnerlächeln. Sie kannte ihn seit fünf Jahren. Er arbeitete in der Herzklinik ihrer Mutter als vielversprechender Assistenzarzt und hatte zusätzlich zu seinem blendend nordischen Aussehen Eigenschaften, die Maja sich an ihrem zukünftigen Mann wünschte.
Als er ihr vor drei Wochen einen Verlobungsring geschenkt und offiziell um ihre Hand angehalten hatte, waren ihre Freundinnen hellauf begeistert. Über Facebook ging der Chat einen ganzen Bürotag hin und her. Der weibliche Konsens war ein überwältigendes Ja für Stefan. Schluss mit den Ökomännern, den laschen Wartetypen und kleinlichen Getrennte-Rechnung-Wichten. Stefan stand mit seinem Antrag bei Majas Freundinnen hoch im Kurs.
Auch hier in Nizza funkelte Stefans Saphir, von Diamantsplittern umringt, teuer an Majas Hand. Keanu sah sich den Ring scheinbar interessiert an und lobte das Design. Dann schwiegen sie beide nachdenklich. Sein Blick war abwesend. Dachte er an seine Leilani? Erneut beschlich Maja ein ungutes Schuldgefühl. Sicher, der Ring von Stefan war wertvoll und wunderschön. Ihr Leben an seiner Seite würde behütet und bestimmt auch glücklich verlaufen. Sie sollte dankbar sein, denn ein derartiger Antrag war heutzutage selten. Einige ihrer Freundinnen wünschten sich einen Mann wie Stefan. In ihrer Altersgruppe hielten nicht alle Frauen viel davon, sich beruflich abzustrampeln, um mit vierzig auf den letzten Drücker noch schnell ein Einzelkind zu produzieren. Die Zeiten hatten sich geändert. Einige Freundinnen wollten möglichst früh eine Familie gründen. Stefan war also ein Hauptgewinn.
Warum hatte Maja ihm vor ihrer Abreise nicht ihr endgültiges Jawort geben können? Maja war kein versponnener Teenager mehr. Stefan war ihre dritte ernsthafte Beziehung. Zwischen längeren Phasen des Singledaseins hatte sie vor ihm zwei Freunde gehabt. Beide Male war es schmerzlich auseinandergegangen. Ihr erster Freund hatte sich in Majas beste Freundin verliebt. Der zweite ging zum Studium nach Australien
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