Tal der Tausend Nebel
dankbar, in diesem Meer überhaupt existieren zu können … Immer wenn die Warnung vor einem großen Tsunami kommt, schicken wir deshalb unsere Gebete auch an unsere Brüder und Schwestern im Wasser. Manche von uns denken, dass wir Hawaiianer einst selber Haie waren.«
Er erzählte es ohne jegliche Sentimentalität. Rauer und weicher wurde sein Timbre erst, als er Maja an der nächtlichen Strandpromenade bat, ihre Haare einmal ganz für ihn öffnen.
»Ich will dich einmal sehen, wie du bist, wenn du wild bist und frei …«
Maja begann zu zittern. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits unrettbar verloren, wusste es aber noch nicht. Keanus hungrige Augen waren jetzt alles andere als harmlos.
»Es ist etwas zwischen uns, dass sehr alt sein muss. Vielleicht kannten wir uns einmal in einer anderen Welt. Vielleicht waren wir ein Paar …?«
Es war der plötzliche Schmerz in seinem Lächeln, der sie gehorchen ließ. Sie öffnete ihre Haare, die ihr fast bis zur Taille gingen. Stefan hatte ihr wegen ihrer Tauchausflüge zu einem Kurzhaarschnitt geraten, aber Maja hatte ihn ausgelacht. Eher würde sie das Tauchen aufgeben als ihre Haare. Keanu lächelte zufrieden.
»Wir gehen jetzt zusammen schwimmen.«
Maja nickte stumm. Nächtliches Schwimmen unter Sternen war bei der Hitze sicherlich eine Befreiung von dem dumpfen Kopfschmerz, den der Mistralwind bei ihr regelmäßig auslöste. Die Abkühlung würde ihrem schweren Kopf guttun, denn es war ein harter Tag im Seminar gewesen. Sie hatten die Bildungssysteme in Finnland und Russland durchgenommen und den ersten umfangreichen Test geschrieben.
Obwohl Maja am liebsten splitternackt ins Wasser gegangen wäre, behielt sie ihren BH und ihr Höschen an. Dies war der Stadtstrand von Nizza. Von der Promenade aus konnte man die Schwimmer im Uferbereich im Licht der Straßenlaternen sehen, und sie waren nicht die Einzigen, die am Meer ein wenig Abkühlung vom Mistral suchten.
Maja war scheu, als sie in Unterwäsche vor ihm stand. Noch nie war sie stolz auf ihren Körper gewesen. Ihre weiblichen Formen waren zu weich und ihre Bauchmuskeln widersetzten sich jeder straffenden Übung. Stefan mochte ihren Körper, fand ihn reizvoll und auch sexy, wie er gerne betonte. Aber er hatte nie damit hinter dem Berg gehalten, dass ihm Frauen mit schmaleren Hüften und kleineren Brüsten eigentlich besser gefielen. Maja war eher groß als klein, eher rundlich als dürr und hatte in der Pubertät mit Bedauern festgestellt, dass bei ihr die Gene ihrer bayrischen Großmutter väterlicherseits durchschlugen. Im Alter würde sie bestimmt einmal auf ihr Gewicht achten müssen. Jetzt reichte noch eine gelegentliche Kurzdiät.
Stefan liebte Diäten, und sie aßen grundsätzlich nur, was ihrer Gesundheit guttat. Solange er das Einkaufen übernahm, machte Maja sich nicht allzu viele Gedanken. Dazu war sie einfach zu interessiert an anderen Themen. Sie liebte Bücher, allen voran Liebesgeschichten, Filme und überhaupt die Künste in allen Variationen. Dabei konnte sie mit Malerei am allermeisten anfangen. Die italienischen Meister hatten es ihr schon als Kind angetan. Mit Pauspapier hatte sie die runden Schönen kopiert.
»Botticelli … dein Körper, er erinnert mich an die Malerei von Botticelli.«
Maja erstarrte. Konnte Keanu ihre Gedanken lesen? Doch dann erinnerte sie sich daran, dass sie im Seminar in kleiner Gruppe über Kunstunterricht gesprochen hatten. Maja hatte ihre Liebe zur italienischen Malerei erwähnt, denn sie war ihr Steckenpferd, solange sie denken konnte. Keanu lächelte.
»Was hast du im Seminar gesagt? Botticelli magst du nicht nur wegen der sinnlichen weiblichen Körper, sondern vor allem wegen der vibrierenden Lebensfreude der Farben …«
Er hatte sich ihre Worte gemerkt. So etwas würde Maja bei Stefan nie erleben. Zum einen machte er sich nichts aus den italienischen Meistern und hatte sie in den drei Jahren ihres Zusammenseins in München kein einziges Mal in die Alte Pinakothek begleitet. Stefan trieb in seiner Freizeit Sport. Auch sonst war er weder besonders sinnlich, noch vibrierte er vor Lebensfreude, mal abgesehen von seiner Vorliebe für Sex. Stefan war ansonsten eher der pragmatische Wissenschaftler. Daher auch seine Obsession mit ihren Pfunden. Zum verhassten Fitness ging sie nur, um sich für ihn in Form zu halten.
Während Maja vor Keanu stand und sein Begehren ihrer üppigen Formen fast physisch auf der Oberfläche ihrer Haut spürte, erinnerte sie sich
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