Tal der Tausend Nebel
und machte am Tag seiner Stipendiumszusage mit Maja Schluss. Er wollte sich nicht mit einer Fernbeziehung belasten. So etwas würde Stefan ihr nie antun. Er war ein Glücksfall.
Maja hatte ihre älteren Geschwister in ihren Ehen brutal scheitern sehen und glaubte daher zu wissen, worauf es ankam. Ihre Schwester hatte sich auf einen Künstler verlassen und war seit der Geburt von Majas Nichte eine zutiefst unglückliche, geschiedene Frau mit einem traumatisierten Kleinkind, das ständig hin- und hergezerrt wurde.
Auch ihr Bruder hatte Pech gehabt. Seine Frau hatte ihn nach zwei Kindern verlassen, weil sie eines Morgens aufwachte und feststellte, dass sie ihr Leben hasste. Seitdem stritt sich das Paar nur noch vor Gericht. Die beiden Söhne, die immerhin schon aufs Gymnasium gingen, reagierten mit Verhaltensstörungen und waren ständig in Therapie. Leidgeprüfte Großeltern waren die Ergebnisse der beiden Ehemiseren, wie Maja hautnah miterlebt hatte. Ihr Vater und ihre Mutter waren jetzt schon gut über sechzig und hatten jede Menge Sorgen wegen der Enkelkinder.
Als Jüngste würde Maja ihren Eltern nicht so viel Kummer bereiten. Eine gescheiterte Ehe und ein Schicksal als zukünftige Alleinerziehende wären ihr als Lebenskonzept auch viel zu anstrengend. Ohnehin war Maja als Nesthäkchen der Familie eher zögerlich und vielleicht auch ein wenig verwöhnt. Beruflich würde sie garantiert den sicheren Weg beschreiten.
Neben ihrer Ausbildung zur Gymnasiallehrerin bot eine Beraterstelle für internationale Bildung vielerlei Möglichkeiten. Maja hatte vor allem an Auslandsjahre gedacht, aber Stefan sah es pragmatischer. Er hatte dieses Seminar gut gefunden, da Maja in einer Beraterstelle auch von zu Hause aus arbeiten konnte. Stefan hatte ohnehin schon alles für den Nachwuchs geplant. Sogar ein kleines Grundstück hatte er bereits anbezahlt. In einem Münchner Vorort wollte er Maja ein Häuschen bauen. Es war alles gut. Es war alles schön. Ihr Leben würde in geordneten Bahnen verlaufen.
»Was mag dein Freund an dir besonders gerne?«, fragte Keanu in ihr Schweigen, während sie dem Treiben an den benachbarten Tischen zusahen, die mittlerweile alle besetzt waren. In Nizza liebten es die Leute auszugehen.
»Er findet mich schön, klug und liebenswert.«
Keanu lächelte.
»Das bist du, aber in meinen Augen bist du noch mehr … Ich finde dich spannend. Etwas an dir ist wie ein Geheimnis.«
Maja erwiderte nichts, aber ihr fiel auf, dass er kommentarlos vom Sie auf das Du übergegangen war. Sie lächelte ihn an.
»Was mag deine Freundin an dir? Deine Haare? Deine schönen Augen? Oder deinen Verstand und deinen Idealismus?«
Keanus Augen blitzten humorvoll.
»Sie findet mich nur sexy … für mein Innenleben interessiert sie sich nicht… die Liebe ist für Leilani das Allerwichtigste … aber sie meint damit vor allem die körperliche Liebe. Solche Gespräche, wie du und ich sie gerade führen, die sind in unserer Beziehung eher selten. Aber sie gefallen mir … sogar sehr.«
Maja wurde rot. Flirtete er etwa mit ihr? Sie beschloss, nicht darauf einzugehen. Trotzdem konnte sie sich nicht dagegen wehren, dass ihr innerlich heiß wurde. Es war der Blick seiner Augen. Erneut schien er bis in ihr Innerstes vordringen zu wollen. Maja räusperte sich, um ihre Gefühle zu überspielen.
»Du würdest dich gut mit Stefan verstehen. Er liebt das Meer über alles. Tiefseetauchen ist sein Lieblingshobby. Das ist niemals langweilig, sagt er immer …«
»Wirklich? Ich kenne nur wenige Weiße, die sich ohne Angst bei uns im Meer bewegen können. Die meisten haben Angst vor der Tiefe, vor dem Ertrinken aber vor allem vor sich selbst …«
Prompt hielt Maja dagegen. »Dann sind Stefan und ich eben keine typischen Weißen. Wir lieben es, gemeinsam die Geheimnisse der Meere zu erforschen. Es ist … es ist unserer beider Lebenselixier.«
Aber ihre Worte klangen in ihren eigenen Ohren wie ein schlechter Werbespot von Deutschen für Deutsche. Immerhin sprach sie mit einem Hawaiianer. Sie sollte schleunigst das Thema wechseln. Verlegen machte sie eine Pause. Womit könnte sie diesen Mann nur beeindrucken? Doch seine Augen fixierten erneut die ihren, schienen sie förmlich durchbohren zu wollen. Was versuchte er dort zu finden? Ihre Wahrhaftigkeit? Ihre wahren Gefühle? Stand die Angst vor einem langweiligen Leben mit Stefan ihr auf der Stirn geschrieben? Vielleicht wusste Keanu, dass sie versuchte, von dem abzulenken, was ihr
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