Tal der Traeume
lediglich ein Freund der Familie, und ich finde die Gerüchte, die du ausstreust, ausgesprochen unappetitlich.« »Wie kannst du es wagen, in diesem Ton mit mir zu sprechen!« Als ihr Vater schließlich einschritt, war Harriet entsetzt. »Wenn dich diese Situation so unglücklich macht, meine Liebe, werde ich William nach seinen Absichten befragen. Es ist vollkommen natürlich, wenn ein Vater so etwas tut. Dann wissen wir mehr.« »Nein«, rief sie, »nein! Ihr seid furchtbar. Warum lasst ihr ihn nicht einfach in Ruhe? Und mich auch. Ich habe gehört, wie du gestern Abend mit Mutter darüber gesprochen hast, welch ein Fang er wäre! Du bist genauso schlimm wie sie, wenn nicht noch schlimmer!« Sie knallte die Tür hinter sich zu. Die Situation war grauenhaft. Bis zu meinem Todestag, dachte Harriet dramatisch, werde ich bereuen, dass ich mich an jenem Abend so abweisend verhalten habe. Denn nach diesem Tag war William in ihrer Achtung beträchtlich gestiegen. Er war ein äußerst netter Mann und ziemlich attraktiv. Harriet hatte William lieb gewonnen, doch sie wollte um keinen Preis ihre Würde verlieren. Durch die unvermittelte Einladung zum Essen hatte William sicher versucht, eine gemeinsame Basis zu finden, doch ihr kühles Verhalten hatte seine Bemühungen im Keim erstickt. Danach hatte er sie nicht mehr allein eingeladen. Warum auch? Sie musste inzwischen ohnehin Distanz wahren, da sie unter ständiger Beobachtung durch Familie und Freunde stand. Es war nicht schwer zu erkennen, dass Oatley, der Perth in Kürze verlassen würde, nicht mehr an ihr interessiert war. Wie demütigend würde es sein, wenn er die Vermittlungsversuche ihres Vaters mit einem deftigen Nein abschmetterte. Dank Anna wüsste es binnen kurzem die ganze Stadt. Harriet krümmte sich.
Am Freitagmorgen hörte Harriet entsetzt mit an, wie ihre Mutter, Anna und eine andere Frau im Wohnzimmer über ihre Heiratschancen diskutierten… über sie und William Oatley. Sie packte einen Korb und rannte aus dem Haus in Richtung Fischmarkt. Auf dem Rückweg wollte sie einen Umweg zum Bahnhof machen und den nächsten Zug nach York erfragen. Sie würde ohne ein Wort verschwinden. Er holte sie am ersten Stand ein. »Einkäufe?« »Ja, ich muss Fisch besorgen.« Was denn sonst? Sie war wütend auf sich und die ganze Welt. »Oben im Norden gibt es herrliche Fische. Am besten ist der Barramundi, ein Süßwasserfisch. So delikat, dass er auf der Zunge zergeht.« »Wie schön.« Sie war den Tränen nahe und starrte unschlüssig auf die Fische, die vor ihr auf dem Tisch lagen. »Geht es Ihnen gut, Harriet?«, fragte er sanft. Mit feuchten Augen wandte sie sich zu ihm um. »Nein, falls Sie es genau wissen möchten. Mir geht es ganz und gar nicht gut. Verdammte Fische! Ich gehe lieber zum Bahnhof.« Sie wollte davonlaufen, doch er ergriff ihren Arm. »Moment, was stimmt denn nicht?« »Nichts stimmt.« »Kommen Sie mit, vielleicht kann ich Ihnen helfen.« Er führte sie aus der Menge zu einer Bank am Anlegesteg. »Setzen Sie sich hin, und dann erzählen Sie mir alles.« Harriet tupfte sich die Augen mit ihrem Taschentuch. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich hasse Perth. Kann es nicht länger ertragen. Ich gehe fort, noch heute. Nach York zu meiner Tante.« »York«, nickte er. »Nette kleine Stadt, wenn auch abgelegen. Ich stelle es mir ziemlich öde vor.« »Das ist mir egal. Ich will einfach nur fort von hier.« Er dachte kurz nach und holte tief Luft. »Wenn Sie schon weg möchten, wäre Darwin interessanter.« »Darwin?« »Wieso nicht? Zuerst eine Seereise, dann der Hafen. Mal etwas anderes. Es würde Ihnen bestimmt gefallen.« Harriet nickte trotzig. »Ja, warum nicht? Dorthin sollte ich fahren.« Dann ließ sie die Schultern hängen. »Es würde einiger Vorbereitungen bedürfen, und man würde mich gewiss nicht fahren lassen.« »Und wenn Sie eine Anstandsdame fänden? Ich könnte Ihre Unterbringung arrangieren. In einem Hotel oder sogar in der Residenz.« »Was ist das? Klingt vornehm.« William lachte. »Nein, mein Fräulein, ganz und gar nicht. Es ist lediglich das Gegenstück zu Ihrem Regierungsgebäude. Der Resident und seine Frau sind meine Freunde, und sie wären entzückt, Sie bei sich zu begrüßen.« Harriet schaute ihn erfreut an. »Wirklich?« »Gewiss doch. Sie haben gern Menschen um sich.« Doch dann entglitt ihr der Traum. Ihre Mutter würde sich das nicht entgehen lassen. Sie würde alles verderben. Sie schüttelte den Kopf. »Ich
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