Tal der Träume
der Stelle. »O Gott, hat er den immer noch? Wirf ihn weg.«
»Tut mir Leid, ich darf nichts wegwerfen. Hast du das wirklich geschrieben?«
Sie errötete. »Das geht dich nichts an!«
»Wohl nicht, aber ich habe mich darüber amüsiert. Hat es sonst noch jemand hier gelesen?«
»Jemand?«, fragte sie schaudernd. »Frag lieber, wer es nicht gelesen hat. Es war ein einziger Albtraum.«
»Aber das musst du doch vorher gewusst haben. Irgendwann kommt jede Zeitung aus Perth nach Darwin.«
»Ich habe es ja nicht für die Zeitung geschrieben …«
Tom Ling tauchte neben ihr auf. »Morgentee, Missy. Soll ich Tee herbringen, Mr. Myles?« Entsetzt warf er einen Blick ins Arbeitszimmer. »Himmel, machen alles durcheinander!«
»Schon gut, ich räume es wieder auf. Wo möchtest du den Tee nehmen, Harriet?«
»Im Wohnzimmer.«
»Darf ich dir Gesellschaft leisten?«
Sie wirkte wenig begeistert, doch Myles zeigte sich beharrlich. »Ich muss einfach diesem Rätsel mit dem Brief auf den Grund gehen.«
Bei Tee und warmen Scones entlockte er ihr den Rest der Geschichte, die sie weitaus weniger komisch fand als er.
»Einfach schrecklich. Wegen der Einmischung meiner Mutter musste ich mich bei den Mollards entschuldigen. Es gab furchtbaren Ärger. Zuerst war der arme William verständlicherweise wütend, aber er hat mich schließlich verteidigt, als sie mir bei der Entschuldigung so unfreundlich begegneten.«
Myles grinste.
»Du hast gut lachen«, meinte Harriet unglücklich. »Mollard war so beleidigt, dass er deinem Vater ein Geschäft wegschnapppte. Er tat gegenüber amerikanischen Investoren so, als sei dein Vater unzuverlässig.«
»Komm schon, das hätte Mollard ohnehin getan. Dad übersteht so etwas. Aber die Idee, dass William der nächste Resident wird, gefällt mir. Du hast vollkommen Recht, er wäre ideal für diese Aufgabe.«
»Er will das Amt nicht haben, was die Mollards allerdings nicht zu glauben scheinen. Dann hat man mir auch noch die Mitgliedschaft im Tennisklub verwehrt.«
Als müsse sie sich dafür entschädigen, löffelte sie eine Extraportion Sahne auf ihr Scone. Myles lachte.
»Na ja, der Tennisklub von Darwin ist nicht gerade die königliche Loge.«
»Die anderen halten ihn aber dafür. Ehrlich gesagt, spreche ich jetzt zum ersten Mal über diese Zeit, ohne vor Scham zu sterben. Ich wollte mich sogar ertränken. Ins Meer stürzen, so dass nur mein Hut auf den Wellen zurückbliebe.«
Sie musste lachen. »Ich hatte aber Angst, dass mich die Haie oder Krokodile fressen könnten, bevor ich ertrank. Und es wurde noch schlimmer. Ich gab eine Dinnerparty, zu der niemand kam … ein chinesisches Bankett. Es war furchtbar«, kicherte sie. »Ich war so einsam. Nur Christy Cornford ist erschienen, und dabei hatten wir so viel zu essen, weil ich die Leute beeindrucken wollte. Also mussten wir allein essen, um Tom und Billy nicht vor den Kopf zu stoßen …«
Tom Ling war im Garten, als Lucy eintraf. Er kümmerte sich gerade um das halbe Dutzend Geweihfarne, die er an das Spalier neben der Vordertreppe gehängt hatte. Er düngte sie mit Bananenschalen, die sie angeblich bevorzugten.
Er schenkte Mr. Myles’ Verlobter ein strahlendes Lächeln und ließ sie allein ins Haus gehen, da sie sich gut auskannte.
Lucy hörte die beiden lachen. Sie schienen allein zu sein. Das entzog den Gerüchten und Myles’ eigenen bissigen Bemerkungen, denen zufolge sich Williams junge Frau und sein Sohn nicht verstanden, den Boden.
Sie hielt inne und blieb auf der Veranda neben der Vordertür stehen. Sie konnte kein Wort verstehen, doch der Tonfall war viel sagend. William war nicht zu Hause, und die beiden machten sich einen schönen Tag.
Sie betrat das Wohnzimmer.
»Ist das ein Scherz nur zwischen euch beiden, oder darf ich mitlachen?«
Myles schrieb alle paar Tage an Pop, um ihm von den Weihnachtsvorbereitungen in der Stadt zu berichten und ihn wissen zu lassen, dass sein Enkel ihn nicht vergessen hatte. Vermutlich erhielt Pop immer mehrere Briefe auf einmal, aber das machte nichts. Im Januar und Februar, wenn die Flüsse über die Ufer traten, würde er wahrscheinlich gar keine Post bekommen. Bisher hatte es beständig geregnet, die Monsunwolken ballten sich zusammen, doch es gab keine spektakulären Wetterereignisse, und die Meinungen über die Regenzeit waren geteilt. Manche behaupteten, der Regen in diesem Jahr würde wenig nützen und könne den verzweifelten Durst des Outbacks nicht stillen,
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