Tal ohne Sonne
hatten das Geld entdeckt. Sie bildeten Tanzgruppen und führten in ihren alten, prächtig-bunten Federgewändern Kriegstänze und Götterbeschwörungen auf. Das reichlich fließende Geld erlaubte es ihnen nach und nach, aus ihren Dörfern mit Allradbussen japanischer Herkunft zu den Vorstellungen zu fahren.
Pieter van Dooren sprach mit niemandem über diesen verrückten Übergang vom Luxus in die Steinzeit. Sein ›Goroka Lodge‹ wurde zum führenden Hotel der ganzen Provinz, es stand nie leer, weil die Air Niugini, die Fluggesellschaft von Papua-Neuguinea, laufend Touristen, vor allem Amerikaner, in das Hochland flog, und wenn in Port Moresby die großen Kreuzfahrtschiffe aus aller Welt ankerten, karrten die Flugzeuge dreihundert oder gar vierhundert Passagiere zu einem Tagesausflug nach Goroka, wo sie mit leichtem Erschauern die Tänze der ›Wilden‹, das Anschleichen der Lehmmenschen und ein grandioses kaltes Buffet im Garten des Hotels genossen. Pieter van Dooren hatte eine Goldgrube aufgemacht, um den Preis, am Ende der Zivilisation zu leben.
An diesem heißen Mittag stand nun van Dooren auf der Piste des Flugplatzes Goroka und rauchte einen langen schwarzen Zigarillo. Neben ihm lehnte der Flugplatzkommandant an der Mauer und kaute auf einem Fruchtgummi herum. Es roch nach Orange.
»Ich bin gespannt, wie die Verrückten aussehen«, sagte der Kommandant. »Das Bild in der Zeitung – die Lady muß eine Schönheit sein. Pieter, Sie haben doch eine Sammlung von grauslichen Dingen der Eingeborenen. Die sollten Sie ihr mal zeigen. Wenn sie in Ohnmacht fällt, gibt sie den Plan vielleicht doch noch auf.«
»Ich glaube nicht, daß sie sich von gegerbten Menschenhäuten, Trinkgefäßen aus Hirnschalen und getrockneten, aufgespannten Penissen beeindrucken läßt. Was General Lambs nicht geschafft hat, das kriege auch ich nicht hin. Frauen haben einen massiveren Dickkopf als Männer, das ist bekannt.« Van Dooren schwieg und streckte die rechte Hand aus. »Da kommen sie. Zynaker mit seiner alten Mühle. Daß er einen solchen Blödsinn mitmacht, das hätte ich nie gedacht. Wenn einer weiß, worauf sie sich da einlassen, dann ist es Donald.«
»Dann sollte man ihn überreden, Pieter.« Der Flugplatzkommandant spuckte seinen Kaugummi aus. »So einen kleinen Defekt an der Maschine kann man leicht konstruieren.«
»Dann chartert sich die Lady eine andere Maschine.«
»Von wem denn?«
»Es gibt in Madang noch so einen verrückten Flieger wie Zynaker. Einen Franzosen. Ich wette, daß die Lady längst von seiner Existenz weiß. Sehen Sie sich das an!« Van Dooren hob beide Hände in den Himmel. »Er schwebt herein wie zu einem Tiefangriff. Er stürzt auf uns zu. Ich sage ja, Zynaker gehört zu den Kerlen, die überhaupt keinen Respekt vor dem Leben haben – vor dem Tod schon gar nicht.«
Das Flugzeug kam ziemlich steil herunter, richtete sich aber vor der Landepiste wieder auf und schwebte über das Rollfeld. Weich setzte es auf und rollte dann aus. Auf einer Zubringerpiste verließ es die Startbahn.
»Fliegen kann er!« sagte der Kommandant anerkennend.
»Das hat er als Dschungelflieger in Vietnam gelernt.« Van Dooren beobachtete das Flugzeug, das jetzt in den hinteren Teil des Flugplatzes rollte und vor ein paar Lagerschuppen zum Stehen kam. »Gehen wir der Lady entgegen.«
Die Begrüßung war herzlich, so als kenne man sich schon seit Jahren. Van Dooren, der Leonora bisher nur von den Pressefotos kannte, war von ihrer Erscheinung fasziniert und betroffen zugleich. Der Gedanke, daß sie in den ›Tälern ohne Sonne‹ für immer verschollen bleiben könnte, ließ sein Herz plötzlich schwer schlagen.
Reißner, wie immer alle übertönend, zeigte lachend auf die Papuas, die hinter dem Drahtzaun standen und zu ihnen herüberstarrten. »Genau so habe ich mir das vorgestellt: ein Haufen bekleideter Affen. In Australien laufen die Nigger genau so rum.«
»Wer ist denn das?« fragte van Dooren und sah fast erschrocken Leonora an.
»John Hannibal Reißner, ein Fotograf.«
»Der gehört auch zur Expedition?«
»Ja.«
»Mit dem werden Sie noch Spaß bekommen, tödlichen Spaß, Miss Patrik. Mit dieser Einstellung zu den Papuas redet er sich um den Kopf. Glauben Sie nicht, das seien dumme Wilde! Sie haben ein ungemein ausgeprägtes Feingefühl. Wenn es verletzt wird, bestimmen die Urinstinkte alle Handlungen. Das sollten Sie sich als Goldene Regel merken: Beleidigen Sie nie einen Papua – seiner Rache würden Sie
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