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Tal ohne Sonne

Tal ohne Sonne

Titel: Tal ohne Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schmale Lippen und nicht die breite klobige Nase, durch die sich seine Stammesgenossen Wildschweinzähne, schmale Knochen, Eisenstifte oder Federkiele bohrten. Auch er schien sich in frühen Jahren so geschmückt zu haben; seine Nasenlöcher zeigten noch die Narben der Durchbohrungen. Aber seitdem er ein Christ geworden war und auf den Missionsstationen gelebt hatte, den Namen Samuel trug und keine Sorgen um seinen Lebensunterhalt kannte, wurde er zu einem der zivilisierten Papuas in einer Welt, die er nur zur Hälfte verstand. »Ich kann euch helfen«, sagte er und versuchte dabei ein vertrauenerweckendes Lächeln.
    »Er gibt an, neun Sprachen zu sprechen«, erklärte van Dooren. »Er kennt die Stämme der Hewa, Duna und Enga.«
    »Ich bin ein Duna«, sagte Samuel stolz. »Ich kann euch hinführen, wohin ihr wollt.«
    »Das ist ja fabelhaft!« Kreijsman war begeistert. »Ein einheimischer Führer, das ist genau, was wir noch brauchten. Da tappen wir nicht wie blinde Hühner durch die Gegend. Samuel, kennst du die Wälder und Täler zwischen dem Lagaip River und dem Pori River?«
    »Da ist noch kein Mensch gewesen, Masta.«
    »Aber dort leben Menschen?«
    »Ich weiß es nicht. Keiner weiß das. Nur böse Geister gibt es da, das weiß man. Sie fassen die Menschen an, und dann werden sie zu Luft. Als Nebel fliegen sie in den Himmel.«
    »Das sagst du als Christ, der Jesus kennt?« sagte Pater Lucius tadelnd. »Es gibt keine Geister, Samuel, keine bösen und keine guten. Es gibt nur den einzigen Gott.«
    »Ich habe gehört, daß auch Jesus zu Luft wurde und in den Himmel schwebte.«
    »Der Junge ist in Ordnung!« Reißner lachte laut. »Er gibt's Ihnen gehörig, Pater! Den nehmen wir, nicht wahr, Miss Patrik?«
    »Komm einmal her, Samuel.« Leonora winkte dem Papua zu.
    Der Krummbeinige trat zögernd vor und blieb vor Leonora stehen. Seine unter den Brauenwülsten liegenden Augen flehten sie an. Nimm mich, hieß dieser Blick. Ich will dich hinführen in das wilde, unbekannte, geisterbewohnte Land. Und ich will meine Sippe wiedersehen, in Hauwindi bei den Yuma-Bergen, ein kleines Dorf, nur meine Sippe wohnt da, eine große Familie, siebenundfünfzig sind es, und ich bin der einzige Getaufte. Ich wollte mehr sehen als unsere Felder, unser Vieh, den Wald, die Flüsse zwischen den Bergen, die Pfahlhütten mit den Palmstrohdächern und den Wänden aus geflochtenen Matten. Darum bin ich mitgegangen mit dem Pater Missionar, damals vor neun Jahren. Ich war fünfzehn Jahre alt, hatte die Mutprobe der Krieger überstanden, hatte meinen Federhut, meine Lanze und die Bambuspfeile mit dem Bogen und der Tiersehne, und vor meiner bemalten Brust hing wie ein Schild das Schulterblatt eines Ebers, und seine Zähne staken in meinen Nasenlöchern. Ich war der beste Spurensucher meiner Sippe, ein guter Jäger, und als die Sippe der Kelebo uns überfiel und drei Mädchen raubte, habe ich sie über Berge und durch Täler, durch Flüsse und Dschungel verfolgt und vier von ihnen getötet. Ihre Köpfe konnte ich nicht abschneiden und mitnehmen, das hat der Distriktskommandant verboten; aber ich habe ihnen die Schwänze abgeschnitten und an meinen Gürtel gehängt. Ja, ich war ein großer Krieger, und trotzdem bin ich weggegangen von meiner Sippe, um etwas mehr von der Welt zu sehen. Nun bin ich hier in Goroka in der Mission und habe Sehnsucht nach meiner Sippe. Nimm mich mit, große Massa, ich bin der beste Spurenleser. Du kannst mich brauchen.
    »Du hast keine Angst, in die ›Täler ohne Sonne‹ zu ziehen?«
    »Keine Angst, Massa.« Samuel reckte sich, als wolle er seine Muskeln zeigen. »Ich bin ein großer Krieger.«
    »So sieht er zwar nicht aus«, sagte Reißner und schüttelte den Kopf, »aber ich glaube, der Junge weiß genau, wovon er spricht. Was meinen Sie, Miss Patrik?«
    »Kannst du so einfach weg von der Mission?« fragte Leonora und lächelte Samuel ermunternd zu. Es war wie eine halbe Zusage. »Was werden die Patres sagen?«
    »Ich habe ihnen neun Jahre treu gedient, Massa. Nicht einen Tag Urlaub, wie die weißen Männer sagen, wenn sie plötzlich verschwunden sind und lange wegbleiben. Ich werde jetzt auch Urlaub machen.«
    »Ich sag's ja«, rief Reißner wieder und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Der Junge ist clever. Wir sollten ihn mitnehmen, er könnte sehr wertvoll sein.«
    »Ich werde mit meinen Glaubensbrüdern sprechen.« Pater Lucius erhob sich von seinem Stuhl. »Sofort. Sie werden uns Samuel sicherlich

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