Tal ohne Sonne
daher in der wahnsinnigen Absicht, in die ›Täler ohne Sonne‹ zu fliegen und dort ihren verschollenen Vater zu suchen. Ahnen Sie, was in Lambs' Innerem vor sich gegangen ist? Er sieht in Ihrem Plan eine Wiederholung der damaligen Tragödie.«
»Ich werde nicht spurlos verschwinden, Pieter.« Leonora blickte über das Land und die Siedlung der Papuas. »Ich komme zurück, mit meinem Vater oder mit seinem Kopf.«
Sie sagte es so betont und siegessicher, daß van Dooren darauf verzichtete, noch weiter über dieses Thema zu sprechen.
Am Abend meldete sich ein junger, fast schwarzhäutiger, krummbeiniger Papua, der seinem Namen alle Ehre machte, denn als 1526 die Portugiesen dieses Land entdeckten, nannten sie es › Ilha das papuas ‹, was so viel heißt wie ›Insel der Krausköpfigen‹.
Der Eingeborene prallte zunächst mit dem Portier des Hotels zusammen, einem Zweimeterbrocken, der auf den Kleinen hinabsah wie auf eine Maus.
»Du willst Masta sprechen?« schrie der Riese den Zwerg an. »Ein Käfer will Masta über die Hose krabbeln?«
Sie redeten miteinander in der Goroka-Sprache der ›Lehmmenschen‹ aus dem Asaro-Tal, einer der siebenhundert verschiedenen Sprachen, die nicht Dialekte sind, sondern eigene Papua-Sprachen, so verschieden wie Französisch und Polnisch.
»Was soll ich mit seiner Hose?« schrie der Kleine zurück. »Ich habe etwas Wichtiges zu sagen. Man wird mich gebrauchen können.«
»Es gibt keine Arbeit mehr bei uns! Alles vergeben.«
»Sie werden dich später mit Stöcken schlagen, wenn du mich wegtreibst!«
»Zuerst bekommst du Prügel.«
»Es geht um die Fremden.«
»Wir haben hier nur Fremde.«
»Die mit dem Flugzeug gekommen sind.«
»Fast alle Fremden kommen mit dem Flugzeug.«
»Die, von denen man sagt, sie wollen ins Hochland.«
»Woher weißt du das, du Wurm?«
»Wenn einer es erfahren hat, weiß es bald jeder. Es ist wirklich wichtig. Laß mich zu Masta.«
Es war eine Glücksminute für den Kleinen, daß gerade in diesem Augenblick Pieter van Dooren durch die Eingangshalle ging, beim Anblick des mit einer ausgefransten kurzen Hose und einem zerschlissenen, ehemals hellblauen Hemd bekleideten Papuas stehen blieb und das ›Laß mich zu Masta‹ hörte. »Was will er?« fragte er.
Der riesige Portier wedelte mit beiden Händen. Der Kleine zog den Kopf zwischen die schmächtigen Schultern.
»Ein Frosch bläst sich auf, Masta!«
Van Dooren ging auf den krummbeinigen Eingeborenen zu und musterte ihn erstaunt. »Warum wolltest du mit mir sprechen?« fragte er.
»Ich bin ein guter Spurensucher.« Der kleine Papua drehte die Hände nach oben, als wolle er um ein bißchen Essen betteln. »Ich kann neun Sprachen, ich habe sie auf der Missionsstation gelernt, ich bin geboren bei Kopago, im Dorf Hauwindi, der Pater Jakob hat mich mitgenommen nach Goroka, nun bin ich hier, aber ich kenne die Flüsse und die Berge, wohin die Fremden wollen, und ich spreche die Sprachen der Lagaip- und Ufei-Leute.«
»Das ist interessant.« Van Dooren wies mit dem Kopf nach hinten. »Komm mit. Vielleicht kann man dich wirklich gebrauchen.«
Der Kleine streckte sich, wölbte die Brust vor, warf einen Blick voll abgrundtiefer Verachtung auf den Portier und folgte dem ›Masta‹ mit langen Schritten. Daß er zuvor mit aller Wucht gegen das rechte Schienbein des Riesen trat, war sicher nur eine Ungeschicklichkeit.
In einem kleinen Salon waren alle Expeditionsteilnehmer versammelt und tranken einen ausgezeichneten australischen Wein, als van Dooren mit dem kleinen Papua hereinkam. Während van Dooren zu dem großen runden Tisch trat, blieb der Papua an der Tür stehen und faltete die Hände, wie er es auf der Mission gelernt hatte.
Reißner rief fröhlich: »Wen haben Sie denn da, Pieter? Soll das Lockenköpfchen das Nachtgebet sprechen? ›Ich bin ein kleiner Papua und ruf von fern und auch von nah: Wenn Väterchen auch Köpfe schnitt, ich bin ein Christ und bete mit.‹«
»Finden Sie das witzig?« fragte Pater Lucius sauer. Er stand auf, hob das Kreuz, das vor seiner Brust an einer goldenen Kette baumelte, in der rechten Hand hoch und trat einen Schritt auf den Papua zu. »Wie heißt du?«
»Samuel, Masta.«
»Du bist getauft?«
»Ja.«
»Ich bin Pater Lucius.«
»Gott segne Sie, Vater.« Der Kleine schlug schnell ein Kreuz und faltete dann wieder die Hände. Seine schwarzen Augen glänzten. Für einen Papua aus dem Hochland hatte er einen schönen Kopf, ebenmäßige Gesichtszüge,
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