Tal ohne Sonne
an dem Flugzeug von Zynaker hatte der General vorgeschlagen … »Stoppen Sie den Wahnsinn!« hatte Sir Anthony immer wieder gerufen. »Sie sind die letzte Station, Wepper! Unternehmen Sie etwas! Als District Commander müssen Sie sich etwas einfallen lassen! Oder wollen Sie offenen Auges zusehen, wie Miss Patrik das gleiche Schicksal erleidet wir ihr Vater vor über zehn Jahren?«
Nun war Zynaker mit seiner alten Mühle gelandet, die Expedition wohnte in einem Seitengebäude der Polizeistation, Kreijsman lief schon, entnervt von vierzig Grad Hitze und achtundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit, wie ein mit Leim eingeschmierter Mensch, an dem alles kleben bleibt, herum, und Peter Paul Schmitz, der junge Medizinstudent, lag in einer Wanne mit kaltem Wasser und beneidete die kaltblütigen Fische. Richtig wohl fühlte sich eigentlich nur Samuel. Er hatte seine zivilisierte Kleidung weitgehend abgelegt, trug jetzt einen Lendenschurz aus Bast- und Lederstreifen und das Eberschulterblatt auf der nackten Brust. Er trug auch keine Schuhe mehr, sondern ging barfuß herum, was ihm sehr zu schaffen machte, denn wer neun Jahre lang in Schuhen herumgelaufen war, dessen Fußsohlen hatten die dicke Hornschicht verloren, die bei den Eingeborenen die Schuhsohle ersetzte und sie gegen alles schützte, gegen Dornen und Käfer, Splitter und messerscharfes Gras. Am ersten Tag schon mußte er aus seinen verweichlichten Füßen Dornen und Splitter herauspulen, und Schmitz klebte ihm unter beide Fußsohlen dicke, große Pflaster. Samuel betrachtete sie mit düsterer Miene und empfand es als eine Entehrung seines Kriegertums.
Noch einmal wurde die gesamte Ausrüstung durchgesehen und nach Vorschlägen von Lieutenant Wepper ergänzt. Man packte noch Hängematten aus unverwüstlichen Lianen ein und nahm zusätzlich zehn Plastikkanister mit Frischwasser und eine Motorkettensäge mit drei Ersatzketten und zwei Schwertern an Bord des Flugzeugs.
»Die werden Sie im Urwald gut brauchen«, hatte Wepper gesagt. »Das Monstrum, das Sie da rumschleppen, eignet sich für den Hausbau und dicke Stämme, aber wenn Sie Brennholz für das Lager brauchen, ist so eine kleine Säge besser als zehn Äxte. Denken Sie daran … Sie werden sich einen Weg durch die Wildnis schlagen müssen. Da steht vor Ihnen eine riesige grüne Wand, eine lebende Wand, durch die Sie hindurch müssen. Und sie ist nicht ein paar Meter dick, sondern Hunderte von Kilometern. Bergauf, bergab, durch Schluchten und überwucherte Felsen, durch Täler, in denen der feuchte Nebel liegt wie ein klebriges Tuch. Es weiß ja keiner, wie es dort aussieht – vom Flugzeug aus ist es eine dicke grüne Masse, nur durchschnitten von Flußläufen.«
Am zweiten Abend auf der Station zog sich Leonora zurück und blätterte in den Distriktsberichten, die Lieutenant Wepper ihr aus dem Archiv gegeben hatte. Sie glichen einer abenteuerlichen Erzählung von der Kolonisation eines Steinzeitlandes. Leonora blätterte zehn Jahre zurück und suchte die Eintragungen, die sich mit Dr. James Patrik befaßten.
Im Berichtsbuch war unter dem Datum 10. Februar notiert worden: »Ankunft von Mr. James Patrik. Amerikanischer Geologe. Will versuchen, in das unerforschte nördliche Hochland vorzudringen. Hat sich das Flugzeug von Steward Grant gechartert, um zunächst aus der Luft das Gebiet zu besichtigen. Von unserer Seite aus ist Mr. Patrik gewarnt worden. Er ist über die Gefahren eindringlich unterrichtet worden. Mr. Patrik wohnt im Gästehaus. Er will in den nächsten Tagen seine Ausrüstung ergänzen.«
Und einige Tage später, am 17 Februar, schrieb der Berichterstatter mit einem deutlichen Ton von Sorge: »Mr. Patrik ist nicht von seinem Plan abzuhalten. Auch die Patres der nahen Missionsstation von Kopago haben mit ihren Warnungen kein Glück. Drei ihrer Missionare sind mitsamt neun eingeborenen Trägern im Gebiet der ›Täler ohne Sonne‹ vor zwei Jahren verschollen. Flugaufnahmen dieses Gebietes zeigen keinerlei Hinweise auf menschliche Siedlungen, was nicht bedeutet, daß es unbewohnt ist. Mr. Patrik ist entschlossen, zusammen mit dem Piloten Grant dieses Land zu erkunden. Wir haben keine Möglichkeit, ihn von diesem Vorhaben abzuhalten.«
Und dann, am 10. April, die letzte Eintragung in das Berichtsbuch: »Mr. Patrik und Mr. Grant sind im Gebiet des Lagaip River und des Ufei River verschollen. Eine Suchexpedition aus der Luft entdeckte keine Flugzeugtrümmer oder irgendwelche Spuren. Es muß damit
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