Tal ohne Sonne
werden uns um diesen Donnergott kümmern. Pater Lucius, das muß Sie, als Missionar, doch reizen. Gewissermaßen ein Duell zwischen Gott und Gott, das Sie, sein Abgesandter, austragen müssen.«
»Da habe ich keine Sorge.« Pater Lucius lächelte in die Runde. »Ich werde den Donnergott mit seinen eigenen Waffen schlagen.«
»Und wie wollen Sie das anstellen?« fragte Reißner.
»Ich habe in meinem Gepäck auch einige Feuerwerkskörper. Eine Rakete, die in den Himmel rote Sterne zaubert, wird jeden Wilden überzeugen. So einfach ist das, meine Herren, für den Anfang. Später, wenn es an die Seele geht, wird's schwerer. Welcher Kopfjäger begreift schon: Liebet eure Feinde – das fällt ja uns sogar schwer.«
In dieser Nacht fand Leonora keinen Schlaf. Sie starrte an die Decke, wo sich die langen Flügel eines Ventilators mit einem leisen Brummen drehten, und dachte an den Donnergott, an seinen blitzeschleudernden Finger und an das kleine Loch in der Stirn des Papua-Kriegers. Das konnte keine Sage sein, keine Überlieferung aus grauer Vorzeit – der Tod durch einen Schuß in den Kopf war so genau geschildert, daß es keinen Zweifel geben konnte: Dort, in den dampfenden Bergen, lebte ein Mensch, der aus der Zivilisation in die Steinzeit gekommen war. Ein Einsiedler, der nie den Versuch gemacht hatte, aus dem Urwald zurückzukehren. Warum? Was hielt ihn in diesem Urland zurück? Wann und vor allem wie war er in das Tal gekommen? Niemand hatte ihn gesehen, und nun hatte er sich zum Gott der Wilden gemacht.
Welche Geheimnisse verbarg das Land noch?
Leonora schlief irgendwann ein, und als Reißner an ihre Tür klopfte und sie im Bett hochzuckte, war es ihr, als habe sie gerade erst die Augen geschlossen.
»Schöne Chefin«, hörte sie Reißners Stimme. »Aufstehen! Kommen Sie mit? Wir wollen zum Kopago-See fahren und schwimmen. Es sind schon jetzt sechsunddreißig Grad Hitze. Wenn Sie sich den Kopf kratzen, quillt schon der Schweiß aus allen Poren. In einer Viertelstunde fahren wir los. Mit zwei Jeeps. Lieutenant Wepper fährt auch mit. Der Kaffee dampft bereits in der Kanne.«
»Ich bleibe hier!« rief sie durch die Tür zurück. »Viel Vergnügen!«
»Danke. Schade, daß Sie nicht mitkommen – ich hätte Sie gern im Bikini gesehen.« Reißner lachte, klopfte noch einmal gegen die Tür, dann entfernten sich seine Schritte.
Leonora blieb noch zehn Minuten liegen, duschte sich dann, zog ein weites Baumwollkleid an und ging in den Gemeinschaftsraum des Gästehauses. Er war mit Korbmöbeln ausgestattet und hatte an der Längswand, getreu der britischen Tradition, sogar einen offenen Kamin, der noch nie angezündet worden war. Auch am Abend sank die Temperatur selten unter dreißig Grad.
In einer Nische am Fenster, das auf den verwilderten Garten hinausging, saß Zynaker und rauchte eine Zigarette. Er winkte, als er Leonora eintreten sah, und zeigte auf den Sessel neben sich. »Sie sind nicht mit an den See gefahren?« rief er. »Dann können wir endlich mal unter vier Augen miteinander reden. Immer ist ein Dritter dabei.«
»Gibt es etwas so Wichtiges?« Sie setzte sich neben Zynaker. In ihrer Frage lag ein sorgenvoller Ton. »Bedrückt Sie etwas, Donald?«
»Ja. Ihr Plan ist, daß Sie alle mit dem Fallschirm über dem Flußbett abspringen.«
»So haben wir uns geeinigt. Es ist die einzige Möglichkeit.«
»Und wie kommen Sie wieder aus dem Urwald heraus?«
»Auch das haben wir bis ins Kleinste besprochen. Wenn wir unser Ziel erreicht haben, geben wir über Funk Nachricht, und ein Hubschrauber holt uns über eine lange Strickleiter an Bord.«
»Das heißt: Ich fliege Sie hin und bin dann entlassen.«
»Entlassen klingt dumm, Donald.«
»Sagen wir so: Ich kann Ihnen nicht helfen, Leonora.«
»Sie fliegen uns in das ›Tal ohne Sonne‹.«
»Und überlasse Sie dann Ihrem Schicksal.«
»Das ist nun mal der Lauf der Dinge.«
»Ich … ich möchte aber bei Ihnen bleiben.« Zynaker blickte aus dem Fenster, nur um Leonora nicht ansehen zu müssen. Wie er es gesagt hatte, klang es wie das schüchterne Bekenntnis eines Jünglings. »Zwei Arme und zwei Augen mehr könnten vielleicht für Sie sehr wichtig sein.«
»Aber es ist doch unmöglich, Donald.«
»So, wie der Plan bisher läuft, mag das sein. Aber es gibt kein Unmöglich. Ich habe die ganze vergangene Zeit darüber nachgedacht. Müssen wir übermorgen starten?«
»Ich möchte nicht noch mehr Zeit verlieren, Donald.« Leonora beugte sich zu Zynaker
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