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Tal ohne Sonne

Tal ohne Sonne

Titel: Tal ohne Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fest an den Rücken von Schmitz. »Weißt du, was das ist, Masta?«
    »Nein.«
    »Menschenfett.«
    Schmitz wunderte sich, daß er nicht sofort erbrach. Er ließ den Strahl der Taschenlampe schnell wieder zur anderen Seite des Raumes gleiten und leuchtete die stummen, wie versteinert vor ihren Totenschädeln hockenden Krieger an. Es war offensichtlich: Sie waren gelähmt. Ein böser Geist der Nacht, der einen Strahl der Sonne geraubt hatte, war in ihr Haus gekommen. Jetzt würden sie sterben, alle. Wo blieben die schützenden Ahnengeister?
    »Frag sie, wo die Verwundeten liegen«, sagte Schmitz zu Samuel. Seine Stimme war wie ein Krächzen, zerstört vom Ekel und der würgenden Übelkeit.
    »Wenn wir sprechen, wissen sie, daß wir keine Geister sind. Masta, laß uns gehen!«
    »Frag, oder ich schlage dich vor allen Männern auf die Backe.«
    Samuel seufzte. Geschlagen zu werden, ohne sich zu wehren, war die größte Schande. Dann war man ein lebender Toter; selbst ein Hund mißachtete einen.
    Mit aller Kraft rief Samuel in die stinkende Stille hinein: »Wo liegen die Verletzten, Freunde? Führt den großen Masta dorthin. Er wird helfen, daß sie bald wieder jagen können.«
    Schweigen. Weiterhin Starrheit. Der Sonnenstrahl in der Hand des unbekannten Geistes lähmte sie noch immer. Nur ein einziger Krieger erhob sich, stützte sich auf seinen Speer, sah Schmitz mit rollenden Augen an und wies dann mit dem Speer zum hinteren Teil des Hauses.
    Schmitz leuchtete den Krieger an, einen muskulösen, jetzt völlig nackten Mann, dessen Körper mit dicken weißen Streifen bemalt war. »Sag ihm, er soll vorausgehen.«
    Samuel übersetzte. Der Krieger drehte sich um und ging langsam nach hinten. Schmitz und Samuel folgten ihm, vorbei an den hockenden Männern, deren starre Augen im Licht der Lampe glänzten, als seien sie aus schwarzem Glas.
    An einer Ecke des Hauses blieb der Krieger stehen und stützte sich wieder auf seinen Speer. Schmitz leuchtete die Ecke ab und sah nebeneinander neun Männer liegen, ebenfalls von dem eingefangenen Sonnenstrahl erstarrt, mit geschlossenen Augen. Die Weissagung des Medizinmannes traf ein: Die Geister waren gekommen, sie zu holen. Der Tod leuchtete sie an.
    »Halt die Lampe fest«, sagte Schmitz zu Samuel, »und leuchte den Mann an, vor dem ich knie.« Er drückte ihm die Taschenlampe in die Hand und ging bei dem ersten Verletzten in die Knie. »Verdammt, du sollst leuchten, aber nicht wackeln.«
    »Ich zittere, Masta.«
    »Warum denn? Reiß dich zusammen!«
    »Hinter mir steht der Krieger mit dem Speer.«
    »Er wird dir nichts tun.«
    »Weißt du das genau, Masta?« Samuel richtete den Strahl der Taschenlampe auf den Verwundeten. »Ich nicht.«
    Schmitz betrachtete den starren Mann. Auf seinem Unterbauch lag eine dicke Schicht eines grüngrauen, stinkenden Pflanzenbreis, der jetzt getrocknet und gerissen war. Auf dem Brei lagen drei weiße Federn eines Vogels und die Zähne eines Menschen. Als Schmitz seine Hand auf die Stirn des Verwundeten legte, wußte er, daß der Mann vor Fieber glühte. Er war einer von denen, die wußten, daß sie sterben mußten.
    Jetzt kam der kritische Moment: das Entfernen des Breiverbandes. Hinter sich wußte Schmitz den Krieger mit dem Speer, er spürte den lauernden Blick wie einen Druck in seinem Nacken. Stieß er zu, wenn er den Verletzten berührte? Was würde er tun, wenn er den Brei entfernte, wenn er eingriff in den Zauber des Medizinmannes?
    Schmitz schloß einen Moment die Augen. Köln. Die Universitätsklinik für Chirurgie. Der Operationssaal. Der abgedeckte Körper des Patienten, das leise Zischen des Atemgerätes, eine Menge grüner Kittel um den OP-Tisch, das helle Licht der OP-Scheinwerfer, das verhaltene Klappern der Instrumente. Auf der rechten Seite des Tisches der Chef, Professor Homberg, ihm gegenüber der Erste Oberarzt, Professor Brandis, drei Assistenten, die Instrumentenschwester. Brandis hatte den Bauch bereits geöffnet, die aufgespreizte Wunde gab das Operationsfeld frei, Klemmen hatten die Gefäße erfaßt, der Sauger gurgelte leise und saugte das letzte Blut aus der Wunde. Homberg blickte hoch, ließ die Augen über die vielen grünen Kittel und die vermummten Köpfe kreisen. »Diesen Eingriff mache ich zum zweitenmal«, sagte er mit ganz ruhiger Stimme. »Der erste Eingriff ging ex. Ob uns der hier gelingt, weiß nur der Herrgott. Aber der hat kein Skalpell in der Hand. Merken Sie sich eins, meine Herren, für Ihr späteres Leben:

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