Talitha Running Horse
und Dad hatte doch wieder irgendwo einen Job gefunden.
Mein Vater war ein guter Tänzer und ich unheimlich stolz auf ihn. Auch diesmal schaffte er es, als Sieger aus dem Wettkampf im traditionellen Tanz hervorzugehen. Das Preisgeld von 300 Dollar und das, was er beim Bau des Waschsalons verdient hatte, würde uns eine Weile die Sorgen nehmen.
Dad kannte fast jeden auf dem Powwow, und er unterhielt sich mit vielen Leuten. Ich wollte ihm nicht dauernd hinterherlaufen wie ein Hündchen, deshalb suchte ich mir ein stilles Plätzchen und zeichnete. Die anderen Mädchen in meinem Alter zogen meist in Grüppchen über das Powwow-Gelände. Sie tuschelten und lachten und liefen den Jungs hinterher.
Ich vermisste Adena. Vor einer Woche war sie mit ihren Eltern und Jason zu ihrem Bruder Henry gefahren, der mit seiner Familie im Cheyenne-River-Reservat lebte, dort, wo meine UrgroÃmutter Helen Yellow Bird hergekommen war.
Ich traf zwar noch ein paar Jungs und Mädchen aus meiner Klasse, aber ihr Interesse an meiner Gesellschaft hielt sich in Grenzen. Das war nicht fair, aber ich war es gewohnt. Und es tat nicht mehr so weh wie damals, als ich in die erste Klasse kam und begreifen musste, dass ich in den Augen einiger meiner Klassenkameraden weniger wert war, nur weil »weiÃes Blut« in meinen Adern floss. Dass ich viel über unsere Traditionen wusste und sie mehr achtete als so mancher reinblütige Lakota, schien überhaupt keine Bedeutung zu haben. Sie sahen nur meine grünen Augen und mein rötlich schimmerndes Haar, das sich wellte, wenn es feucht wurde.
Zuerst wollte ich mich bei meinem Vater darüber beklagen, aber bald wurde mir klar, dass es ihn nur traurig und wütend machen würde und dass er mir sowieso nicht helfen konnte. Ich musste es allein durchstehen, und das tat ich auch. Bis die White Elks ihren nagelneuen Trailer über unserem aufstellten und Adena in meine Klasse kam. Es gab einige freie Plätze im Klassenraum und auch an meinem Tisch war noch ein Stuhl frei. Adena war geradewegs auf mich zugesteuert und hatte mich gefragt, ob sie sich zu mir setzen durfte.
Ich war froh gewesen, endlich eine Banknachbarin zu haben, hatte aber gefürchtet, dass auch Adena sich von mir abwenden würde, wenn sie erfuhr, dass meine Mutter eine WeiÃe war. Also machte ich mich noch am selben Tag auf den Weg zum Trailer von Adenas Familie und erzählte ihnen von meiner Mutter.
Wahrscheinlich beschämte es die White Elks, dass ich solche Befürchtungen hatte, und deshalb waren sie immer besonders nett zu mir und meinem Vater. Adena wurde sehr schnell meine Freundin. Endlich hatte ich jemanden, mit dem ich meine geheimen Ãngste und Wünsche teilen konnte. Jemanden, der mich verstand, der mit mir lachte und der immer greifbar war. Seitdem störte es mich nicht mehr, dass einige Jungs und Mädchen mich mieden. Ich war nicht mehr allein.
6. Kapitel
Als es dunkel wurde und Scheinwerfer den Tanzplatz beleuchteten, hörte ich auf zu zeichnen und suchte nach meinem Vater. Dabei stellte ich mit Schrecken fest, dass sich auch Tante Charlene auf dem Powwow eingefunden hatte, und mit ihr mein Cousin. Marlin war nicht zu übersehen: Er trug weite Hosen, die ihm bis über die Knie reichten, und ein weiÃes XXL T-Shirt mit dem bunten Collegelogo. Seine fettigen Haare fielen ihm in Strähnen auf die Schulter. Kaum hatte Marlin mich entdeckt, verfolgte er mich mit seinem boshaften Blick wie ein Jäger seine Beute. Ich merkte sofort, dass er drauf aus war mich zu ärgern. Deshalb brachte ich schnell meine Zeichnungen in Sicherheit, damit er sie nicht zum Anlass nehmen konnte, sich über mich lustig zu machen. Noch war Tante Charlene an seiner Seite, aber dann traf sie eine Bekannte und ging mit ihr in Richtung Tacobude.
Marlin, der sich endlich unbeobachtet fühlte, bewegte sich auf mich zu und ich versuchte, ihm zu entkommen. Ich schlüpfte durch die Menschenmenge und versteckte mich zwischen den geparkten Autos, die den Platz einkreisten. Marlin war schnell und beweglich trotz seiner Leibesfülle. Er fand mich und zog so derb an meinem geflochtenen Zopf, dass ich aufschrie. Vor Schmerz schossen mir Tränen in die Augen und die blechernen Schellen an meinem Kleid schepperten wütend.
»Verschwinde, Marlin«, rief ich. »Verschwinde und lass mich in Ruhe.« Die Angst in meinem Nacken stach wie Nesseln.
Marlin grinste boshaft. »Darfst
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