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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Friedensvertrag.«
    Dad bremste, weil ein Tier über die Straße lief. Ein Kojote wahrscheinlich. Seine Augen leuchteten im Licht der Scheinwerfer.
    Â»Manchmal werden Red Clouds Nachfahren deshalb heute noch als Treaty Signers beschimpft«, fuhr er fort und trat aufs Gaspedal. »Solltest du das irgendwo mal hören, dann weißt du, was es bedeutet.«
    Ich nickte. All das hatte ich schon in der Schule gehört, aber nicht so, wie mein Vater es mir gerade erzählt hatte. Konnte es sein, dass unsere Geschichte für jeden im Reservat eine andere Wahrheit in sich barg? Dass die Einstellung jedes Einzelnen zur Vergangenheit unseres Volkes davon abhing, wessen Namen er trug?
    Â»Schon bald musste Red Cloud feststellen«, sagte Dad, »dass die Verträge von den Weißen erneut gebrochen wurden. Resigniert gab er auf und willigte ein, mit seinem Volk nach Pine Ridge zu gehen, wo ihm eine eigene Agentur * zugeteilt wurde. Ein Großteil der Oglala-Lakota lebte von nun an ständig in der Nähe der Agentur, die übrigen kamen als Wintergäste, es waren die so genannten »Freien«. Sie bezeichneten Red Cloud als Verräter, aber ihnen blieb nichts anderes übrig, als im kalten Winter ebenfalls die Agentur aufzusuchen. Weiße Jäger hatten die riesigen Bisonherden systematisch abgeschlachtet, sodass sich unser Volk nicht mehr selbstständig ernähren konnte.«
    So ist es heute noch, dachte ich.
    Â»Es gab ständig Ärger im Reservat«, fuhr mein Vater fort. »Auf der einen Seite mit dem weißen Indianerbeauftragten, auf der anderen mit den so genannten Freien. Ihr Anführer war Crazy Horse, der sich selbst nie, auch nicht im härtesten Winter dazu herabließ, in die Agentur zu kommen.«
    Ja, das wusste ich. Aus diesem Grund war Crazy Horse für uns Lakota ein großer Held. Sogar andere Indianerstämme verehrten ihn. Er war das Symbol für Freiheit und ungebrochenen Widerstand. Es gab kein Bild von ihm, weil er sich niemals hatte malen oder fotografieren lassen, doch man erzählte, dass er gelocktes Haar gehabt hätte. Das tröstete mich, wenn meine eigenen Locken mich besonders störten.
    Dad war an der Kreuzung von Sharps Corner angelangt und bog nach links ab. Er sagte: »Red Cloud lebte mit seiner Familie in der Nähe der Agentur, wo er annahm, was dort an Lebensmitteln und Lebensnotwendigem ausgegeben wurde. Almosen waren es, Tally. Unter anderem auch warme Decken für den Winter. Daher kommt das Schimpfwort Blanket Indians .«
    Â»Und was bedeutet: Hang around the Forts?«, fragte ich.
    Â»So ungefähr dasselbe. Die Leute, die mit Red Cloud gegangen waren, kümmerten sich nicht mehr darum, wie sie aus eigener Kraft überleben konnten. Vielleicht hatten sie auch einfach keine Kraft mehr. Sie blieben in der Nähe der Agentur, wo regelmäßig die Lebensmittelrationen ausgeteilt wurden. Deshalb Hang around the Forts.«
    Â»Aber das ist alles über hundert Jahre her.«
    Â»Ja«, sagte mein Vater.
    Ich sah ihn ungläubig an, weil mir das nicht in den Kopf wollte. »Es ist mehr als hundert Jahre her, und noch heute werden Nachfahren von Red Cloud als Blanket Indians, Treaty Signers und Hang around the Forts beschimpft?«
    Dad zuckte die Achseln. »Für dich sind hundert Jahre eine lange Zeit, Braveheart. Aber viele im Reservat haben das Gefühl, als wäre das alles erst gestern gewesen. Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass die Black Hills uns nicht mehr gehören, dass wir dort nicht mehr jagen und frei herumziehen dürfen. Sie sind wütend auf die Weißen und halten Häuptling Red Cloud für einen Verräter, weil er diesen Vertrag unterzeichnet hat und aufgehört hat, gegen sie zu kämpfen.« Ich sackte in mich zusammen. Das war ja schrecklich. Bisher hatte ich immer geglaubt, ein Halbblut zu sein wäre die schwerste Bürde, die es im Reservat zu tragen gab. Aber nun wusste ich, dass auch Neil es nicht leicht hatte. Weil er für etwas schief angesehen und verantwortlich gemacht wurde, wofür er überhaupt nichts konnte. Etwas, das vor mehr als hundert Jahren geschehen war.
    Wir waren vor unserem Zuhause angelangt und stiegen aus. Miss Lilly kam unter dem Trailer hervor und strich miauend um meine Beine. Wahrscheinlich war sie mal wieder von einem Kojoten oder einem Bobcat, einer großen Wildkatze, gejagt worden und wollte nun die Nacht lieber in den sicheren

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