Talitha Running Horse
Stifte waren meine ständigen Begleiter. Ich trug sie in einer Umhängetasche aus Wildleder mit mir herum, die mein Vater für mich genäht und mit einem Perlenmuster bestickt hatte.
Eine ältere Frau mit riesiger Brille auf der Nase, die neben mir saÃ, nickte anerkennend, als sie den tanzenden Neil Thunderhawk auf meinem Blatt erkannte. Ein bunter Wirbel aus Federn und Fransen. Der letzte Schlag der Trommel verklang, der Falsettgesang der Trommler endete schlagartig und Neil stoppte seinen Tanz abrupt. Auf einmal blickte er zu mir herüber und nickte mir zu. Ich hoffte, dass er später nicht sehen wollte, was ich gezeichnet hatte.
Mein Herz flatterte wieder wie ein erschrockener Vogel, als Neil wenig später an der Tacobude vor mir stand. Ich spürte, wie ich rot wurde, aber das fiel ihm vielleicht gar nicht auf, weil die Präriesonne meine Haut inzwischen so dunkel gebrannt hatte, als wäre ich ein Vollblut.
»Hi Tally«, sagte er und sah auf mich herunter. Neil trug einen Kopfputz aus Stachelschweinborsten, der ihn noch gröÃer wirken lieÃ. An seinem zottigen Beinschmuck hingen Glöckchen, die bei jedem seiner Schritte klingelten.
»Hallo Neil«, erwiderte ich so locker wie möglich. »Wie gehtâs?«
»Gut. Und dir?« Er zahlte und nahm seinen Taco entgegen. Biss herzhaft hinein in das Fladenbrot, das dick mit roten Bohnen, Tomaten, Zwiebeln und Käse bedeckt war.
Mir lief das Wasser im Mund zusammen. »Auch gut.«
»Bist du mit deinem Dad hier?«, fragte er kauend.
»Ja«, sagte ich. »Er gehört zu den traditionellen Tänzern.«
»Mein Pa auch.« Neil nickte mir zu. »Okay. Dann noch viel SpaÃ.«
»Ja, dir auch.«
So liefen fast alle Gespräche ab, die ich mit Neil Thunderhawk hatte. Wenn man das überhaupt Gespräche nennen konnte. Seine Erinnerung an die beiden Ausritte, die mir unaufhörlich im Kopf herumgeisterten, schien völlig ausgelöscht zu sein. Er war dabei, erwachsen zu werden, und in seinen Augen war ich noch ein Kind. Nicht mehr als ein junges Fohlen wie Stormy, hübsch anzusehen, aber zu nichts zu gebrauchen, jedenfalls noch nicht.
Ich wollte einfach nicht glauben, dass ich immer noch dreizehn Jahre alt war.
Neil bemerkte natürlich nicht, dass ich mir Mühe gab, älter auszusehen, indem ich mein Haar nicht mehr zu zwei Zöpfen flocht, sondern nur noch zu einem. Ihm fiel auch nicht auf, dass ich mich jedes Mal besonders hübsch anzog, wenn die Möglichkeit bestand, ihm zu begegnen. Es interessierte ihn nicht, wie gut ich auf dem Powwow tanzte, denn er tanzte besser. Ihm war gleichgültig, dass ich Psitó inzwischen auch allein ohne Sattel reiten konnte, denn er ritt schnell wie der Wind, so als wäre er eins mit Taté, dem gefleckten Hengst. Neil konnte auch nicht ahnen, dass ich jedes Mal eine Gänsehaut bekam vom Klang seiner Stimme.
Es hatte mich nicht getroffen wie ein Blitz, sondern war langsam zur Gewissheit geworden: Zum ersten Mal in meinem Leben war ich richtig verliebt. Was für ein wunderbares und zugleich peinigendes Gefühl das sein konnte: Dieses wohlige Flattern im Bauch, wenn Neil Thunderhawk mich anlachte und mit mir sprach. Und die pure Verzweiflung, wenn er mich keines Blickes würdigte.
Vor dem Powwow hatte ich meine und Dads Tanzkleidung auf dem groÃen Tisch in der Wohnküche unseres Trailers ausgebreitet und genau überprüft, ob auch nichts fehlte. Mein Vater besaà einen Anzug aus weich gegerbtem Hirschleder, der ihn wie einen Krieger aus vergangenen Zeiten aussehen lieÃ. Die Tanzkleidung war bestickt mit verschiedenfarbigen Stachelschweinborsten und winzigen bunten Glasperlen. Seine Mokassins, die ebenfalls kunstvoll mit Perlen bestickt waren, trug mein Vater nur, wenn er tanzte.
Dad legte groÃen Wert darauf, dass die Farben und Muster auf seiner Kleidung auch stimmten. Ein wirklich gut gearbeitetes Outfit war teuer, vor allem wenn Adlerfedern dafür verwendet wurden. Und Dad besaà ein Bustle, einen kreisrunden Federschmuck für den Rücken, der komplett mit Adlerfedern besetzt war.
Die Tanzkleidung meines Vaters war um die 2 000 Dollar wert, und schon mehr als einmal hatte er sich mit dem Gedanken getragen, sie zu verkaufen. Immer dann, wenn uns das Nötigste zum Leben fehlte und wir nicht wussten, wo die nächste Mahlzeit herkommen sollte. Aber jedes Mal war uns der Zufall zu Hilfe gekommen,
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