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Talitha Running Horse

Talitha Running Horse

Titel: Talitha Running Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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von Wounded Knee. Eine helle Sonnenscheibe leuchtete durch die Schneewolken und nahm dem Ort etwas von der Düsternis, die er ausstrahlte.
    Voran die Staffträger mit Bob White Bull an der Spitze, erklomm ein Reiter nach dem anderen den Pfad, der hinauf zum Steintor führte, hinter dem sich der Friedhof mit dem grauen Gedenkstein und die Holzkirche befanden. Auf dem eisernen Kreuz wehte eine weiße Flagge.
    Eine Vielzahl von Menschen erwartete uns, die genauso dick eingemummelt waren wie wir. Die meisten von ihnen waren Familienmitglieder und Freunde der Reiter. Eltern warteten auf ihre Kinder. Leute vom Fernsehen waren da und Reporter von verschiedenen Zeitungen.
    Wir wurden mit lauten Rufen und den hohen Trillern der Frauen begrüßt, die mich an Kriegsgeschrei denken ließen. Jeder Ankömmling auf seinem Pferd wurde mit Salbei beräuchert. Mein Blick streifte durch die Menge, ob ich vielleicht Adena entdecken konnte, aber ich sah sie nicht. Man konnte kaum jemanden erkennen unter den großen Kapuzen mit Pelzkragen und dicken Wollmützen.
    Mit unseren Pferden bildeten wir einen großen Kreis um die fünf Männer, die Gebetsstäbe trugen. Es war ein dichter Kreis von fast zweihundertfünfzig Reitern. Die Sonne kam für einen Augenblick hinter den Wolken hervor, und von den Leibern der Pferde stieg Dampf auf. Neil stand mit Taté neben mir, und uns gegenüber sah ich Leo Little Moon mit seinem braunen Wallach. Er sah zu uns herüber, aber ich merkte, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders war.
    Arlo Big Foot war der erste der Staffträger, der zu sprechen begann. Er erzählte noch einmal in kurzen Worten, was sich an diesem Tag vor 114 Jahren hier zugetragen hatte.
    Â»Da standen 470 schwer bewaffnete Soldaten gegen 400 von Hunger, Kälte und dem langen Marsch erschöpfte Menschen, von denen die meisten Frauen und Kinder waren«, sagte er. »Am Abend des 28. Dezember hisste mein Großvater die weiße Flagge und ergab sich. >Ich will in Frieden leben, bis mein letzter Tag kommt<, soll er gesagt haben. Am nächsten Vormittag mussten sich die Männer in einer Reihe aufstellen und jeder, der einen Schritt aus der Reihe wagte, sollte sofort erschossen werden. Es kam zu einem Handgemenge zwischen einem Soldaten und einem unserer Männer, bei dem sich ein Schuss löste. Ein Kommando ertönte, und Gewehrfeuer brach los. Die Soldaten schossen wahllos auf alles, was keine Uniform trug. Wer versuchte, zu fliehen, wurde gejagt. Noch im Umkreis von zwei Meilen fand man später Leichen und Verwundete. Stellt euch vor, bei diesem Wetter verwundet zu sein und auf dem eisigen Boden zu liegen. Auch mein Großvater starb im Schnee.« Big Foots Stimme war so bewegt, dass er kaum noch weitersprechen konnte. Ringsum herrschte bedrückende Stille, nur das Schnauben der Pferde war hin und wieder zu hören und das Klirren der Trensen.
    Bob White Bull übernahm das Wort. »An diesem Tag wurde der Kreis des Lebens zerschlagen«, sagte er, »unser Traum von einem Leben in Freiheit und Würde auf unserem Land. Aber wir haben lange genug getrauert. Mit diesem Ritt wollen wir an all jene erinnern, die hier ihr Leben ließen. Er war unser Gebet für die Toten, deren Seelen uns begleitet haben. Doch nun ist es an der Zeit, die Tränen der Trauernden zu trocknen und den Heiligen Kreis des Lebens wieder zu schließen. Das sind wir unseren Kindern und allen kommenden Generationen schuldig.«
    Auch die anderen drei Staffträger sprachen ein paar Worte und der letzte sang ein Lied auf Lakota, begleitet vom dumpfen Klang einer Trommel. Die Schläge meines Herzens folgten ihrem Rhythmus. Vor Ehrerbietung und Freude liefen mir Tränen über die Wangen. Wir hatten es geschafft, und ich war mit Stormy dabei gewesen. Dankbar lehnte ich mich nach vorn und legte meine Wange an den Hals der Stute. Nichts und niemand würde uns nun noch auseinander bringen können. In diesem Augenblick fühlte ich mich unverwundbar.
    Was auch kommen mochte, ich würde es schaffen. Von nun an würde ich alles schaffen.
    Nach und nach stiegen alle Reiter von ihren Pferden. Die Staffträger trugen die Gebetsstöcke durch das steinerne Tor mit dem schmiedeeisernen Bogen auf den Friedhof. Dorthin durften die Fernsehleute und die Zeitungsreporter mit ihren Kameras uns nicht folgen. Am Gedenkstein für die Toten sollte die Abschlusszeremonie stattfinden.
    Ich

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