Talivan (German Edition)
ein Ziel, das es zu erreichen galt, ein Weg, der zu gehen war, auf dem sie sicher hierher g e führt wurde durch eine ihr unbekannte Macht. Nun hatte die feste Hand, die sie während der letzten beiden Monde gelenkt hatte, sich zurückgezogen; keine wortlose Stimme sprach mehr von dem Schwert. Sie war auf sich alleine g e stellt, musste alleine entscheiden und handeln. Und, zur Not, auch kämpfen.
Als sie zu ihm hinüber sah, schaute er sie aus kleinen, ve r schwommenen Augen unverwandt an, und bevor sie den Blick wieder senken konnte, nahm sie noch aus den A u genwinkeln sein einladendes Grinsen wahr. Wieder spürte sie den unerklärlichen Hass auf diesen Mann. Sicher, sie war jung und nicht hässlich, so dass sie diese Reaktion gerade älterer Männer kannte und sie normalerweise nicht mehr wahrnahm, aber dies hier war etwas anderes, wie eine Beleidigung, die nur schmerzt, weil sie von einem au s gesprochen wird, der mehr bedeutet als irgendein dahe r gelaufener Kerl. Und das, obwohl dieser Mann ihr völlig fremd war, sie ihn sicher nie zuvor gesehen hatte. Wahrscheinlich, b e ruhigte sie sich, macht es die Nähe Talivans, dieses Schwertes, das sie fast körperlich anzog. Sie konnte es wohl einfach nicht ertragen, die kostbare Klinge an diesen Mann g e bunden zu sehen, wo sie sich doch so gewiss war, Talivan gehöre nur zu ihr, wie eine Freundin, die man an einen nichtsnutzigen Mann verloren hatte und nun in dem sicheren Wissen, dass auch sie es wollen würde, von diesem zu befreien versuchte. Es ve r suchen musste. Und doch, diesen Fremden einfach so, nur einer Waffe wegen, zu töten, widerstrebte ihr zutiefst. Nicht umsonst war sie in e i nem Kloster aufgewachsen, hatte dort zwar auch die Schwertkunst erlernt, da sie zur Magie nicht geboren schien – im Gegenteil gar die Magie der anderen in sich aufz u saugen schien –, dabei jedoch nie vergessen, dass sie nur zu ihrer oder anderer Menschen Verteidigung kämpfen durfte. Talivan war kein Mensch. Den Mann zu töten, geschähe nur aus Besitzgier und Ha b sucht. Sie mus s te einen anderen Weg suchen, vielleicht den, den er ihr gerade ebn e te, mit seinem betrunkenen, selbstverliebten Gri n sen.
Diesmal senkte sie ihre Augen nicht, hielt seinem Blick stand. Er fasste es sofort als Einladung auf, setzte sich an ihren Tisch und bestellte lauthals zwei Bier, obwohl seines noch halb voll war, bevor er sie von oben bis unten muste r te. Sie konnte den plötzlichen Drang zu lachen gerade noch unterdrücken, die Situation hätte komisch sein kö n nen, wenn sie nicht genau gewusst hätte, dass sie es selbst dazu hatte kommen lassen. ‚Warum konnte ich auch nicht eine Nacht darüber schlafen, morgen wäre mir sicher eine bessere Lösung ei n gefallen’, schalt sie sich selbst. Nun denn, was sie begonnen hatte, musste fortgeführt, die Chance genutzt werden – vielleicht würde sie keine zwe i te bekommen.
„Wohin reitest du?“, fragte sie, höflich, distanziert, ihre Ablehnung so gut als möglich verbergend.
„Jhalia“, entgegnete er sofort. Sein feistes Grinsen verriet, dass er sie nicht als Gegnerin ansah, seine Antwort en t sprach sicher der Wahrheit. Am liebsten hätte sie ihn ins Gesicht geschlagen, so ekelte er sie an, dennoch schaffte sie es, ihn mit einer gequälten Mischung aus Neugier und Bewunderung anzusehen, in der er sich wohlig zu räkeln schien.
„Und du, Kleine, wohin willst du?“, fragte er mit leicht he i serer Stimme, wohl von zu viel Bier und Tabak, und grinste sie wieder so dummdreist an, dass sie sich nur mit Mühe konzentrieren und die richtige Antwort geben konnte: „Nach Fjedor.“ Das Dorf lag ungefähr einen Tagesmarsch südlich von Jhalia, so dass es ihr immer noch freistehen würde, mit ihm zusammen zu seinem Ziel zu reiten, was ihr eine knappe Woche Zeit geben würde, Talivan auf irgen d eine Art zu erhalten, oder sich alleine auf den Weg zu m a chen und dem Mann vielleicht in einem günstigen Moment aufzulauern. ‚Wie gut’, dachte sie, ‚dass ich alle Reisenden, die im Kloster haltgemacht haben, immer um Auskunft ü ber die Westküste gebeten habe, fast ist es, als befände sich in meinem Kopf eine Karte dieser Region, die ich doch noch nie gesehen habe. Wenigstens nicht bewusst’, verbe s serte sie sich. Sie war hier geboren, so hatten es zumindest die fahrenden Spielleute berichtet, die sie damals, vor fast ach t zehn Lenzen, in der Nähe von Jhalia gefunden hatten. Ausgesetzt von einer Frau, die sie nicht kannte und
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