Talivan (German Edition)
sie nicht mehr als G e rüchte mi t bekam, machte ihr weniger Angst als das Leben, das vor ihr lag. An manchen Tagen sah sie die alte Heilerin, ging ihr j e doch aus dem Wege. Weder Ding noch Mensch sollten sie e r innern.
Der Krieg trat plötzlich und ohne Vorwarnung in ihr L e ben. Keine fremden Soldaten hätten es gewagt, einen der Türme, in denen die Musik, die Zauberei, die Heilkunde oder Ähnliches gelehrt wurde, anzugreifen; dazu wog die Ehrfurcht vor diesen Dingen zu schwer. Die Verletzten aus einem nahegelegenen Dorf jedoch kamen zum Grünen Turm, gestützt oder getragen von Verwandten und Freu n den, ein jämmerlicher Zug von Frauen, Kindern und nur wenigen Männern. Als Fiona die blutdurchtränkten, schmutzigen Verbände sah, den Schmerz in den Augen d e rer, die überlebt hatten, flüchtete sie hinauf in ihr Zimmer und begann haltlos zu schluchzen. Mit der Zeit kam das Begreifen, dass es stets Schlimmeres gab als das, was man unmöglich aushalten zu können geglaubt hatte. Als sie am Abend den Funken von etwas zurüc k kommen fühlte, was sie für Lebenswillen hielt, trocknete sie ihre Tränen und stieg die lange Treppe hinab. In einer Ecke des Versam m lungsraumes erblickte sie die alte Heilerin, die sich, so gut sie es vermochte, um die Verletzungen der Männer kü m merte. Fiona sah sich um und fühlte, wie die Blicke derer auf ihr ruhten, die niemanden mehr hatten mit hierher bri n gen können und denen keine Tränen geblieben waren.
Ein kleiner Junge zupfte sie am Rocksaum. „Hast du Papa gesehen?“, fragte er hoffnungsvoll. Die junge Frau hinter ihm wurde von einem trockenen Schluchzen g e schüttelt, bevor sie den Jungen auf ihren Schoß zog. „Er ist jetzt im Himmel“, antwortete sie mühsam. „Und wann kommt er wieder?“, fragte der Kleine drängend. Seine Mutter schüttelte nur den Kopf, ohne ein Wort herausz u bringen.
„Aber er ist doch hier“, hörte Fiona sich sagen. Der Junge sprang auf und lief die wenigen Schritte auf sie zu. „Wo ist er? Ich kann ihn nicht sehen!“
„Du kannst die Luft doch auch nicht sehen, und dennoch atmest du sie“, sagte Fiona und ließ sich vor ihm auf dem Boden nieder. Vom Himmel erzählte sie, der so wunde r schön war wie nichts auf Erden, und von den Engeln, die dort lebten und dennoch immer für die Menschen da waren, die sie liebten und von denen sie geliebt wurden. Und sie erzählte die Geschichte noch viele Male an diesem Abend, und manchmal erzählte sie auch andere Geschichten mit rauer, doch nicht brechender Stimme.
Sie würde so lange im Grünen Turm bleiben können, wie sie wollte, und vielleicht würde sie beginnen, Lieder zu schreiben oder Geschichten, in denen auch Engel vo r kämen, die sichtbar waren und keine Flügel hatten, so n dern nur Worte, um richtige Wege zu weisen. Sie könnte le r nen, die Gärten rund um den Turm zu bestellen oder Ve r bände zu wechseln. Es gab genügend Ziele, und von einigen wü r de sie niemand abhalten können.
Nachwort
Als ich vor einiger Zeit auf die Idee kam, eine Sammlung meiner Fantasy-Stories, die in den letzten rund zehn Jahren erschienen sind, einem neugegründeten Verlag anzubieten, wusste ich nicht einmal, wie viele Geschichten ich übe r haupt geschrieben hatte. Nach der Zusage des Verlages b e gann ich mit dem Zusamme n stellen der Texte – und musste bald einsehen, dass ich mehr als genug Material für zwei Bücher gehabt hätte. Manche Geschichten strich ich rasch wieder von der Liste, da sie noch in verschiedenen
Kur z geschichtensammlungen erhältlich sind oder mir nicht mehr gefielen. Die anderen las ich in Ruhe durch – und stieß dabei auf manchen Text, zu dem es noch eine andere, ungeschriebene Geschichte gab, wie die Story …
- die ich zweimal schreiben musste, da „Sicherung s kopie“ damals ein Fremdwort für mich war,
- von der ich anfangs nur den Titel wusste,
- die unbedingt noch vor der letzten Diplom-Prüfung fertig werden musste,
- über einen langjährigen Wunsch,
- die eine Freundin auch beim dritten Lesen nicht ve r standen hat,
- die laut einem Rezensenten „die beste Pointe“ hat, die er je g e lesen hat,
- deren Idee in einem Aachener Restaurant auf dem Bie r deckel in immer kleineren Spiralen entstand,
- die neulich auf einer Lesung auch die alte Dame zum Schmunzeln brachte, die Fantasy vorher als „neumodischen Schnickschnack“ bezeichnete …
… und viele andere.
So wie die Geschichten mich für einen Moment in
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