Talivan (German Edition)
könnte. Sie würde ihn sicherlich besiegen und könnte danach das Schwert ehrlich an sich nehmen. Es würde ihr von Rechts wegen zustehen, solange keine Ve r wandten Anspruch darauf erhoben. Und doch, sie wollte ihn noch immer nicht töten, vielleicht würde es ihr noch g e lingen, Talivan auf anderem Wege zu erhalten. Zumal er nun fast ihr Mitleid erregte; ein alter, einsamer Mann, der eine so lange Reise auf sich nehmen musste, um seine Waren zu ve r hökern, war kein Gegner für sie. Es musste eine andere Möglichkeit geben.
Zu spät fiel ihr auf, welchen Fehler sie dennoch begangen hatte, und sie fügte in dem Versuch, ihn wieder gutz u machen, schnell hinzu: „Eigentlich Cindra, ich war länger im No r den …“
Er hörte ihren weiteren Erklärungen, wie sie an einen N a men des nördlichen Reiches gelangt sei, nicht zu, sprang so heftig auf, dass ihr Bier zu Boden fiel, bis seine Augen en d lich nicht mehr von Angst sprachen, er sich nach einem Moment des gegenseitigen Beobachtens abrupt u m drehte und schweren Schrittes die Treppe zu den Schla f kammern hinaufging. Woher nur mochte er ihren Namen kennen, b e sonders die westliche Variante ihres richtigen Namens? Was auch immer es war, es konnte nichts mit dem Schwert zu tun haben. Sie hatte Zeit, würde abwarten, wie er sich am nächsten Morgen ihr gegenüber verhalten würde, und sich dann einen Plan zurechtlegen. Irgendetwas hatte ihm einen fürchterlichen Schrecken eingejagt, und vielleicht würde sie einen Nutzen daraus ziehen können.
Sie ritten schweigend nebeneinander, nachdem er sich mit wenigen Worten für sein Verhalten vom Vorabend en t schuldigt hatte; es war ihm sichtlich peinlich, zu welchem Benehmen er sich im Rausch hatte hinreißen lassen. Wieder spürte sie die u n erklärliche Verbundenheit, noch immer jedoch von Hass überlagert, obwohl er sich nun ganz normal benahm, sie nicht ansah, und aus seiner Miene sprachen nur noch tiefsitzende Angst und eine unergrün d liche Trauer. Er wirkte, als wäre es ihm lieber, sie niemals ke n nengelernt zu haben; als könne er sie nun aber nicht mehr gehen lassen. Vielleicht weiß er schon, dass ich g e kommen bin, um Talivan für mich zu fordern, dachte sie. Obwohl sie noch immer nicht zu glauben bereit war, dass er sich wir k lich vor ihr erschreckt hatte und nicht bei der Erinnerung an eine Frau gleichen Namens. Nur langsam kamen sie vo r wärts, da sein Pferd schon seine besten Jahre hinter sich hatte und z u dem den noch immer schweren Karren ziehen musste; er schien wahrhaftig nicht viele A b nehmer für se i ne Waren gefunden zu haben.
An diesem Abend, als sie in einer einfachen Gas t stätte haltmachten, war sie es, die sich zu Egodow setzte. Beide verzichteten auf Bier oder Wein, gaben sich mit ei n fachem Quellwasser zufrieden; Sinja, da sie einen klaren Kopf b e halten wollte, um vielleicht mehr über ihr Gegenüber und Talivan zu erfahren, der Mann wohl eher, um seine Reis e gefährtin nicht durch unbedachte Worte zu ve r lieren. Auch wenn sie sich den Grund dafür nicht vorstellen konnte, sie schien ihm wirklich etwas zu bedeuten, was auch immer. Vielleicht lag sein Ve r halten an ihrem Namen, oder besser, an einer alten Erinnerung an eine andere Cindra, die er o f fenbar gekannt haben musste. Während sie am Vorabend nicht weiter darüber nachgedacht hatte, beschlich sie nun das unbestimmte Gefühl, alles über ihre unbekannte N a mensvetterin in Erfahrung bringen zu müssen, um ihrem Ziel ein Stück näher zu kommen; dennoch wusste sie genau, dass sie ihn nicht einfach danach würde fragen können, er würde es ihr nicht sagen. Vielleicht später ei n mal, ihr blieben ja noch ein paar Tage. Und auch er schien bemüht, Fragen zu ihrer Person zu ve r meiden, sah sie manchmal nur sehr merkwürdig an, als fürchte er sich tief innen vor ihr oder vor etwas, was ihr Zusammentreffen bewirken mochte. Er erzählte ein paar kleine Geschichten, allesamt belanglos, wenn auch nicht ohne Geist und Witz, denen sie gerne lauschte, während sie ihren G e danken nachhing. Was ist es nur, überlegte sie, das mich diesen Mann hassen lassen will? Er scheint nicht übel zu sein, wenn er nüchtern ist. Welche so unverzeihliche Tat mag er begangen haben, von der ich nichts weiß und unter der wir doch beide gleichermaßen leiden? Was es auch war, an di e sem Abend erfuhr sie nichts Neues, und so blieb ihr nach einiger Zeit, so sehr Talivan auch förmlich nach ihr zu r u fen schien, nichts anderes
Weitere Kostenlose Bücher