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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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euch an.«
    Was ihn später am meisten verwunderte, war die Tatsache, daß der Jetta so lange mithielt. Der Leichenwagen fiel zurück, als wäre er an eine Kette gelegt worden, und das Wohnmobil war bloß ein Stück Landschaft, aber der Jetta blieb dran, als er das Gaspedal durchtrat und alles andere stehenließ. Bei hundertsiebzig bemerkte er eine Bewegung neben sich: Natalia kletterte mit zusammengekniffenen Lippen nach hinten und umklammerte ihre Tochter, aber diese Geste bedeutete nichts, nicht jetzt. Bei hundertneunzig entdeckte der Wagen, wofür er geschaffen war: all diese deutschen Pferde, die Autobahn, Reisegeschwindigkeit . Ein Teil von ihm wußte, daß er in Schwierigkeiten war, daß sie die Polizei anrufen und dem Typ in der Zentrale alles mögliche erzählen konnten: Vor ihnen fahre ein Betrunkener, ein rücksichtsloser Verkehrsrowdy, ein verrückter, lebensgefährlicher Krimineller in einem bordeauxroten Mercedes mit Händlerkennzeichen, die ebensogut im Wind flatternde Fahnen hätten sein können. Doch es gab auch einen anderen, größeren Teil, dem das alles scheißegal war, der von Adrenalin angetrieben wurde und aufs Gas trat.
    Später, als der Jetta nur noch eine Erinnerung war, als Natalia endlich die Luft ausgegangen war und sie aufgehört hatte zu zicken, als er ihr einen Riesenhaufen Ausflüchte, Spitzfindigkeiten und krasse Lügen erzählt hatte (ach, Mann, das waren üble Leute, Leute, mit denen er mal Immobiliengeschäfte gemacht hatte und die ihren Teil der vertraglichen Pflichten nicht hatten erfüllen wollen, und wußte sie denn nicht, daß diese Immobilientypen die schlimmsten waren?), als sie, die Arme um ihre Tochter geschlungen, auf dem Rücksitz eingeschlafen und er in Placerville von der Hauptstraße abgebogen war, um über den Gold Country Highway zurück zur I-80 zu fahren, begann er, über die unmittelbare Zukunft nachzudenken. Tahoe kam nicht mehr in Frage, ganz klar, und den Wagen mußte er schleunigst verkaufen, aber die I-80 führte nach Reno, und dort würde er schon eine Straße nach Vegas finden – es würde eine lange Fahrt werden, viel länger, als er gedacht hatte, und er würde Natalia eine Menge erklären und sie tagelang an ihrem Altar anbeten müssen, aber im Augenblick gab es keine Alternative. Es war knapp gewesen. Eine lehrreiche Erfahrung.
    Doch die lag jetzt hinter ihm. Die Landschaft wurde schöner. Er stellte die Musik lauter und ließ die Räder rollen. Und nach einer Weile begann er mitzusingen und mit der Hand den Rhythmus zu schlagen. Das Adrenalin in seinen Adern wurde langsam abgebaut. Die Straße führte bergauf, die Bäume rechts und links wurden höher und dicker, und der nackte Fels der Berge fing das Licht ein und gab ihm Gestalt. Peck trat aufs Gas, überholte ein Wohnmobil, das verträumt einen zweiten Wagen schleppte, und gelobte sich etwas: daß niemand mehr ihn je finden würde.

FÜNF
    Zorn war nicht das richtige Wort für das, was sie empfand. Es war Wut, kalte, entschlossene, unerbittliche, ekstatische Wut, die Wut eines Psychopathen, eines Soldaten unter Feuer, die Wut dessen, der das Schwert schwingt. Noch nie im Leben hatte sie etwas Derartiges verspürt, nicht als sie in schwarzen, zerfetzten Kleidern und mit gespenstisch grünem Gesicht, dem Ergebnis von einer halben Stunde Arbeit, mit ihrer Mutter am Küchentisch gesessen und darauf gebrannt hatte, auf ihrem Besen zur Tür hinauszufliegen und mit ihren Freundinnen Halloweensüßigkeiten zu sammeln, und ihre Mutter sie gezwungen hatte, ihre Vokalübungen zehnmal zu wiederholen, zehnmal , obwohl Halloween war und sie gefleht und gespuckt hatte und hinauf in ihr Zimmer gestürmt war und gespürt hatte, wie das Haus erbebte, als sie die Tür so fest zuknallte, daß der Rahmen splitterte; auch nicht, als sie mit all den Betrunkenen und Verrückten im Bezirksgefängnis gesessen hatte und ihr niemand hatte zuhören wollen; und auch nicht, als sie gesehen hatte, wie das Kinn der Anwältin herunterklappte, als sie in der Halle des Gerichtsgebäudes gestanden hatte und wieder in Gewahrsam genommen worden war, obwohl sich die Anklage in allen Punkten als unbegründet erwiesen hatte und obwohl alle gewußt hatten, daß das Ganze eine Farce war, und sie hätte schreien können, bis das Gebäude sie unter sich begrub. Das hier war anders. Es war explosiver.
    Sie brauchte diesen Typ nur zu sehen. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, sein Gang, seine Sachen. Nach all der Anspannung und Erwartung,

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