Talk Talk
Krabben und Feta, Eier Benedikt und frisch gepreßten Orangensaft bekam, war das Frühstück langweilig. Doch das hier – er sah sich mit unvermitteltem zimbelhellem Haß um –, das hier war richtig übel.
»Martin?« rief die Empfangsdame. Die Schlange geriet in Bewegung, Köpfe wurden gereckt, Füße scharrten ungeduldig, und für einen Augenblick war ihm gar nicht bewußt, daß er gemeint war, bis Natalia ihn anstieß und er wie ein Drittkläßler ganz hinten im Klassenzimmer den Finger hob. Als sie sich in die Nische mit den von Hintern gewärmten Bänken und der roten, mit Essensresten gesprenkelten Resopaltischplatte setzten, wäre er imstande gewesen zu morden.
»Ich will Eis«, verkündete Madison. Ihr Gesicht war ganz ruhig, die Augen waren groß und ernst, sie zuckte nicht mit der Wimper. »Wie das Mädchen da.« Sie zeigte auf die Nachbarnische, wo sechs oder sieben Kinder, eine ganze Bande, über diverse Eisbecher herfielen, während ihre Eltern, zwei austauschbare Ehepaare mit Schweinsgesichtern und einem Mangel an Stil, der nur brutal zu nennen war, vor ihren Kaffeebechern und fettverschmierten Tellern saßen und brüllend lachten, als wären sie seit Tagen betrunken.
»Kein Eis«, sagte Natalia automatisch. »Eier.«
Madison wiederholte ihre Forderung in höherer Stimmlage.
»Schluß damit«, zischte er und beugte sich weit über den Tisch, denn man konnte im Leben nur eine gewisse Menge Scheiße ertragen, einen getrockneten und zu einem Würfel geformten Block Scheiße über dem anderen, bis das Ganze umfiel und einen unter sich begrub, und er stand in letzter Zeit unter Druck, das war ihm bewußt. Und weil es ihm bewußt war, gelang es ihm, sich zu beherrschen und nicht nach ihrem dünnen weichen Handgelenk zu greifen und auf eine Art zuzudrücken, die ihr ganz neue Perspektiven eröffnet hätte. Aber er brauchte gar nicht gewalttätig zu werden. Ein Blick – genau dieser Blick, mit dem er Stuart Yan auf den Stufen des Gerichtsgebäudes angesehen hatte – reichte, um sie zum Schweigen zu bringen. Er hatte diesen Blick geübt. Es war der Leg-dich-nicht-mit-mir-an-Blick, den er in Greenhaven elfeinhalb Monate lang nicht abgesetzt hatte. »Du ißt, was auf den Tisch kommt.«
Der Kompromiß war etwas, was sich »Pfannkuchentraum« nannte: drei dünne, gummiartige Waffeln, die unter einem Berg Erdbeeren und ungefähr einem Meter Schlagsahne begraben waren. Natalia, deren Appetit ihn immer wieder in Erstaunen versetzte, hatte das »Cowboyfrühstück«: vier Spiegeleier mit einem 500-Gramm-Steak, Bohnen, Pico de Gallo und einem Korb voller Tortillas. Peck trank nur einen schwarzen Kaffee.
»Willst du nicht einen Biß von meinem Steak?« fragte Natalia mehrmals. »Du hast doch gesagt, du willst ein Steak. Hier, probier es mal. Es ist gut.«
Er war zu wütend. Und er wußte, daß er sich wie ein kleines Kind benahm. »Nein«, sagte er, »ich will dein Steak nicht. Tahoe. Ich werde in Tahoe was essen. Okay?«
Madison, die ihm gegenübersaß, trug einen Sahnebart, der bis zu ihren Nasenlöchern und darüber hinaus reichte. Der Zuckerrausch machte ihre Augen glasig, und die Gabel klebte an ihrer Hand. Das Frühstück war vorüber.
Draußen, wo Leute auf der imitierten Ranchveranda standen und zwischen den Zähnen stocherten oder Pfefferminzbonbons zermalmten, fiel die Hitze über ihn her. Es mußten jetzt schon vierzig Grad im Schatten sein, obwohl es erst kurz nach halb zehn war, wie ein Blick auf seine Uhr zeigte. Die Sonne war wie ein Hammer. Sie wollte alles zerstören, alles dem Erdboden gleichmachen. Es lag ein Geruch nach Feuer in der Luft, nach Fettdünsten, die vom Küchenventilator ins Freie geblasen wurden, nach einer Todesart, die einen mumifizierte, bevor man auf dem Boden aufschlug. Während er das Sportjackett auszog und über den Arm legte, betrachtete er eine Krähe mit Federn, so schwarz wie Kohlenstaub: Sie tanzte um etwas herum, was auf dem Asphalt klebte. Herrgott. Wie hielten die Leute das aus? Wie konnte man hier leben? Wieder war er ganz angespannt, und auch der Kaffee hatte ihm nicht gutgetan, kein bißchen. Er nahm Natalias Arm. Sie gingen die drei ausgebleichten Stufen hinunter zum kochendheißen See des Parkplatzes. Wie nicht anders zu erwarten, sagte Madison: »Mommy, mir ist heiß.«
In diesem Augenblick, in genau diesem Augenblick sah er den schwarzen Jetta, der auf den Parkplatz einbog, und die zwei Gesichter hinter der sonnenbeschienenen Windschutzscheibe. Ein Mann
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