Talk Talk
Was trinkt man denn überhaupt auf Sake? Bier, oder? Ab jetzt nur noch Bier?«
Bridger hörte nicht zu. Er gestattete den Lichtern, etwas in ihm auszulösen, er ließ die Musik in sich einsickern und seine Stimmung verändern. Die Schlange rückte vor – zwischen ihm und dem Türsteher waren noch etwa zehn Leute. Jetzt konnte er diese Frau aus einer neuen Perspektive betrachten – da stand sie am Rand der Tanzfläche und kämpfte heldenhaft gegen die Musik. Hoch mit den Knien, runter mit den Fäusten, raus mit den Ellbogen. Ihre Bewegungen waren weder ruckartig oder spastisch noch aus dem Takt – jedenfalls nicht ganz. Es war, als hörte sie einen tieferen Rhythmus, einen Gegenrhythmus, ein unter der Oberfläche der Musik verborgenes Muster, dessen sich niemand sonst bewußt war – weder die anderen Tänzer noch der DJ oder die Musiker, die diese Stücke im Studio eingespielt hatten. Es faszinierte ihn. Sie faszinierte ihn.
»Sharper? Bist du noch da?« Deet-Deet sah zu ihm auf wie ein Kind, das sich auf dem Jahrmarkt verlaufen hat. »Ich hab gerade gesagt, daß ich nicht weiß, ob ich... Siehst du da drin irgendwas Lohnendes?« Er stellte sich auf die Zehenspitzen, die Musik erstarb plötzlich und formierte sich dann um den Baßlauf des nächsten Stücks. »Die da? Die hast du im Auge?«
Sie waren jetzt beinahe an der Tür. Hinter ihnen standen fünfundzwanzig oder dreißig andere, die reinwollten, und der Nebel schlug sich überall nieder: auf den Straßenlaternen, den Palmen, den Haaren der Leute.
Deet-Deet machte einen letzten Versuch. »Willst du rein? Meinst du, die fünf Dollar lohnen sich?«
Bridger reagierte nicht gleich, denn er war abgelenkt – oder nein, er war gebannt. Er hatte bisher zwei bedeutsamere Beziehungen gehabt: eine auf dem College und dann die mit Melissa, die vor drei Monaten ihr Ende gefunden hatte, mit dem Krachen eines Baums, der im Wald umfällt, wo keiner da ist, der es hören könnte. Etwas zog ihn, eine Kraft, eine Intuition, die über der abgeschürften Ebene seines Bewußtseins leuchtete wie das Blitzen des Stroboskoplichts. »Klar«, sagte er, »ich geh da rein.«
Als er jetzt aus dem Nebel der Erinnerung auftauchte und feststellte, daß die Frau mit dem Kind verschwunden und der Polizist mit den weißen Koteletten durch eine Frau mit möglicherweise mitfühlenden Augen ersetzt worden war, erhob er sich. Wie spät war es? Nach vier. Radko würde einen Anfall kriegen. Er hatte bereits einen Anfall gekriegt. Er hatte in diesem Augenblick den nächsten. Bridger hatte einen ganzen Nachmittag nicht gearbeitet, gerade jetzt, wo man ihn am dringendsten brauchte – und was hatte er erreicht, abgesehen von einem hübschen Nickerchen auf einer von vielen Hintern polierten Bank in der Polizeiwache von San Roque? Nichts. Überhaupt nichts. Dana war noch immer eingesperrt, irgendwo dort hinten, und er selbst hatte noch immer keine Ahnung, um was es ging. Er spürte den Ärger in sich aufsteigen, einen Stachel der Wut, die er kaum bezähmen konnte, und um sich zu beruhigen, schlenderte er zu einem Ständer voller Merkblätter – Wie Sie sich auf der Straße schützen können; Wie Sie Ihr Heim einbruchsicher machen können; Was ist Identitätsdiebstahl? – und tat, als nähme er diese wertvollen Informationen in sich auf.
Er blieb einen Moment dort stehen und drehte sich dann wie zufällig zum Tresen um. »Hallo«, sagte er, und die Frau sah von dem Formular auf, das sie gerade ausfüllte. »Mein Name ist Bridger Martin, und ich warte hier schon seit kurz nach elf – heute morgen, meine ich. Vielleicht könnten Sie mir helfen...«
Sie sagte nichts. Wozu auch? Er hatte ein Anliegen, er war ein Bittsteller, ein Wesen voller Wünsche und Bedürfnisse und Forderungen, nicht anders als Tausende vor ihm, und er würde es irgendwann von allein einsehen, das wußte sie. Diese Tatsache schien sie zu langweilen. Der Tresen und die Computer und die Wände und der Boden und das Licht langweilten sie ebenfalls. Bridger langweilte sie. Ihre Kollegen. Ihre Schuhe, ihre Uniform – alles langweilte sie, alles war eine eintönige, ritualisierte Mühsal ohne Anfang oder Ende. Das verrieten ihm ihre Augen, die aus der Nähe nicht annähernd so mitfühlend aussahen, wie er gedacht hatte. Und ihre Lippen... ihre Lippen waren fest zusammengepreßt, als kämpfte sie gegen ein nervöses Zucken an.
»Es geht um meine... meine Freundin . Sie ist festgenommen worden, und wir wissen nicht, warum
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