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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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wie spät es war. Die Zelle hatte kein Fenster, die Uhr hatten sie ihr abgenommen, und in ihrer Welt gab es keine Kirchturmuhren, die die Viertelstunden schlugen, und keine Vögel, die den Tag mit Gesang verabschiedeten. Für sie war es in der Hauptverkehrszeit so still wie für einen Hörenden mitten in der Nacht – nein, noch stiller, viel stiller. Die anderen hörten immerhin die Grillen. Sie hörten Hintergrundgeräusche: das Brummen des Kühlschranks, das entfernte hohe Geheul eines Kojoten, der Beute gemacht hatte, den Motor eines Wagens irgendwo im klebrigen Netz der Nacht. In Büchern hörten sie es. Im Fernsehen und in Horrorfilmen. Lautes Geräusch , stand dann im Untertitel. Das Klirren von Glas. Ein Schrei. Dana hörte es nicht. Sie hörte nichts. Sie lebte in einer anderen Welt, einer eigenen, besseren Welt, die Stille war ihre Zuflucht, ihr hartes, unveränderliches Gehäuse, und von tief aus diesem unnachgiebigen Kern sprach sie zu sich selbst. Das war ihr wahres Ich, die Stimme, die niemand hören konnte, selbst wenn sie die leistungsstärksten Hörgeräte oder Cochlea-Implantate trug oder lautstark durch die Welt der Hörenden stapfte. Da kam niemand hin.
    Irgendwann blieb sie stehen. Sie war plötzlich müde, völlig am Ende, und ließ sich auf die Kante einer Pritsche sinken. Lange saß sie zusammengesunken da, wippte mit einem Fuß und schlüpfte aus dem Schuh und wieder hinein, hinaus und hinein. Es war einfach zuviel. Hier war sie nun, eingesperrt wie ein Tier, und warum? Wegen Dummheit. Wegen Inkompetenz. Weil irgendein Bürokrat einen Fehler gemacht hatte. Was sie am meisten ärgerte, mehr als die Ungerechtigkeit und Dämlichkeit dieser ganzen Sache, mehr als Iverson und die Polizisten und alle anderen, die an dieser dahinstolpernden, verdrehten, schwachsinnigen Bürokratie mitwirkten, war die Zeitverschwendung. Die Arbeiten ihrer Studenten waren im Wagen – den man inzwischen zweifellos beschlagnahmt hatte –, und sie konnte das Abendessen und den Film und den Plan, die Nacht bei Bridger zu verbringen, vergessen, denn nun würde sie die halbe Nacht damit verbringen dürfen, die Arbeiten durchzusehen. Eigentlich könnte sie das gleich hier tun, in ihrer erzwungenen Abgeschiedenheit. Und ihr Buch. Sie hatte sich – und Bridger – geschworen, daß sie dranbleiben und jeden Tag eine Seite schreiben würde. Was für ein Witz! Sie war schon den ganzen Monat im Rückstand – sie hatte, wenn es gut gelaufen war, eher einen Absatz pro Tag geschrieben – und hatte sich darauf gefreut, diesen Rückstand am Wochenende aufzuholen: Während Bridger ausschlief, würde sie auf dem Notebook tippen, neben sich eine Tasse Chai, um das Räderwerk zu ölen, der Morgen würde sich, begleitet von einem steten Fluß der Inspiration, entwickeln, und am Horizont stünde die Verheißung der Sommerferien.
    Oder auch jetzt. Warum nicht jetzt? Hatte Jean Genet sein Notre-Dame-des-fleurs nicht im Gefängnis geschrieben? Auf Klopapier sogar? Sie wäre am liebsten aufgestanden und hätte am Gitter gerüttelt wie James Cagney oder Edward G. Robinson in diesen alten Filmen, die sie so liebte und die Bridger haßte, hätte am liebsten so lange geschrien, bis jemand mit einem Kugelschreiber und einem Notizblock gerannt käme. Es war beinahe zum Lachen. Und es wäre wirklich urkomisch, ihre persönliche Reality-Show: »Fahr mit dem Auto und lande im Gefängnis.« Dr. Stroud, der zwei Stunden herumgesessen hatte, würde es sicher rasend witzig finden. Und ihre Studenten. Und Dr. Koch, der Direktor – er würde sich bestimmt den Bauch halten vor Lachen: Eine seiner Lehrerinnen saß nicht im Seminarraum, sondern im Gefängnis.
    Zum Brüllen, ja. Aber sie mußte pinkeln. Es war jetzt wirklich dringend, kein bloßes Unbehagen, kein unbestimmter innerer Druck – wenn sie nicht sofort pinkelte, würde sie es nicht mehr zurückhalten können, und wie würde Bridger sich fühlen, wenn er sie vor all diesen Polizisten und Sekretärinnen in den Arm nahm und sie auf ihrem Rock einen großen, dunklen Fleck hatte?
    Sie stand mit dem Rücken zur Tür, als diese geöffnet wurde, fuhr jedoch sofort herum, als hätte sie die sich nähernden Schritte gehört, das Kratzen des Schlüssels im Schloß, das Knarzen der stählernen Angeln. Ihr Leben lang hatte sie auf jede kleinste Veränderung der Luftströmung geachtet, auf Rhythmen und Schwingungen, auf die leisesten Gerüche, die zartesten, flüchtigsten Berührungen, die ein Hörender

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