Talk Talk
Hinterlassen Sie eine Nachricht. Nach dem Piep. Er fluchte, legte auf und wählte die Nummer noch einmal. »Na los, geh ran«, sagte er leise, »geh ran«, aber sie ging nicht ran. Er versuchte es fünf- oder sechsmal hintereinander, klemmte den schweren Hörer zwischen Ohr und Schulter und wurde mit jedem Mal frustrierter und wütender und besorgter, und dann kam der Alte aus der Toilette gestolpert und knallte ihm die Türkante an den Ellbogen, und er hatte einen Vierteldollar in den Apparat gesteckt und fühlte sich so klein und hohl und leer wie noch nie zuvor.
Er setzte sich wieder an die Theke, trank das Bier aus und bestellte noch eins, und das war nun wirklich äußerst schlau. Besauf dich. Klar, warum bestellst du zum Bier nicht gleich noch einen Schnaps? Besauf dich. Fang an zu randalieren. Stolpere hinaus auf die Straße und nimm dir ein Taxi nach Greenhaven. »Moment, ich hab’s mir anders überlegt«, rief er dem Barmann zu, der bereits am Zapfhahn stand. Der Mann – Mitte Vierzig, glatzköpfig, kinnlos – sah ihn mit schmerzlichem Gesicht über die Schulter an. »Bier bläht einen so auf, wenn Sie verstehen, was ich meine«, sagte er entschuldigend, und der Typ neben ihm, irgendein Fischkopf, der ihm vielleicht entfernt bekannt vorkam, sah auf. Er hörte sich sprechen, hörte, daß seine Stimme in den hiesigen Dialekt verfiel, wie sie es auch an der Westküste immer getan hatte, wenn er mit Sandman telefoniert hatte. »Geben Sie mir einfach eine Diätcola, okay? Ja, eine Diätcola. Mit viel Eis.«
In der nächsten Stunde ging er alle fünf Minuten zum Telefon und wählte immer wieder erfolglos Natalias Nummer. Er saß fest, er war schachmatt, denn solange er nicht mit ihr gesprochen und das Ausmaß des Schadens erfahren hatte, konnte er nichts unternehmen. Er versuchte, positiv zu denken und sich vorzustellen, wie sie rückwärts aus der Einfahrt gesetzt und durch die Nebenstraßen zur Route 9 gefunden hatte, wie sie nach Hause gefahren war, den Wagen in die Garage gestellt hatte und nun auf seinen Anruf wartete. Aber wenn sie auf seinen Anruf wartete, warum nahm sie dann nicht ab? Und hatte sie sich überhaupt in Bewegung gesetzt, oder war sie entsetzt dort geblieben, hatte sich um seine Mutter gesorgt, sein Sündenregister aufgezählt und zugesehen, wie Bridger Martin sich auf dem Rasen wand und um sich trat, während die Sirenen sich näherten und die Leute zusammenliefen? Hatte sie auf ihn gewartet, weil sie dachte, das sei das beste? Vielleicht. In diesem Fall waren sie geliefert, alle beide. Doch ebensogut konnte er sich vorstellen, wie sie in einer Flut unflätiger russischer Flüche explodierte, auf den Blumen herumstampfte und im Wagen davonrauschte – scheiß doch auf alle, und besonders auf ihn! Er hoffte, daß es so gewesen war. Ach, wie er es hoffte...
Der Fischkopf neben ihm – er hätte der Zwillingsbruder des Barmanns sein können – sagte andauernd, Peck komme ihm bekannt vor, und Peck beharrte darauf, das sei nicht möglich. Jetzt beugte der Typ sich zu ihm, bis sich ihre Schultern berührten, und sagte: »Ich könnte schwören... Waren Sie nicht auf der Peterskill High?«
Peck schüttelte den Kopf.
»Vielleicht Ihr Bruder?«
»Ich hab keinen Bruder. Ich bin aus Kalifornien. Ich versuche gerade, meine Frau zu erreichen – wir wollen uns mal New York ansehen. Den Times Square und so.«
Der andere machte ein zweifelndes Gesicht. »Aber Sie sind hier aufgewachsen, stimmt’s?«
Peck sah betont auf seine Uhr. »Nein«, sagte er, »in San Francisco. Aber Sie entschuldigen mich – meine Frau...« Er stand auf und ging wieder zum Münztelefon. Wieder wählte er die Nummer, wieder starrte er auf die schmutzigbraune Wand und die Graffiti, die er bereits auswendig kannte. Es läutete einmal, zweimal, und dann nahm sie ab.
»Hier ist Natalia.«
»Ich bin’s.«
Schweigen. Nichts. Er hörte das Summen der Leitung, ein entferntes statisches Rauschen. Hinter ihm spielte die Jukebox das nächste Stück, und in der Bar brach jemand in lautes Gelächter aus. »Natalia?«
»Ich hasse dich. Du bist ein Schweinesohn. Ich hasse dich!«
Er blickte die Theke entlang und legte die Hand um die Sprechmuschel. »Wo bist du?«
»Du bist ein Lügner. Und ein Verbrecher. Wie die Verbrecher im Fernsehen – im schlechten Fernsehen, im Tagprogramm. Du bist –« Sie begann zu weinen, mit kurzen, keuchenden Schluchzern. Sie klang wie eine Ertrinkende.
»Wo bist du?«
»Du hast mich angelogen.
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