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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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– der weiße Lieferwagen, der wie eine sich bewegende Wand vor ihr auftauchte, sich dehnte und plötzlich vorbei war – kostete sie einen Schritt, einen Sekundenbruchteil, und seine Finger waren in ihren Haaren und zerrten daran, sie spürte, wie ihr Kopf zurückgerissen wurde, doch sie hätte nicht anhalten können, selbst wenn sie es gewollt hätte. Und da war der andere Wagen, eine Kraft, die sie schlug, stach und zu Boden warf. Peck Wilson landete neben ihr, und die Wärme seines Körpers stieg ihr in die Nase wie giftige Dämpfe. Dann war sie wieder auf den Beinen, benommen, verwirrt, beide Knie waren aufgeschürft, und die Handflächen und Unterarme standen in Flammen – Renn! schrie eine Stimme in ihr, renn! –, aber sie brauchte nicht mehr zu rennen, sie brauchte gar nichts mehr zu tun, denn ein Streifenwagen schob sich auf die Kreuzung, und Peck Wilson war erledigt.
    Einen langen, donnernden Augenblick lang sah sie ihn an, sah die Leere in seinem Blick, die Angst, die Flucht. Sie zitterte am ganzen Körper, es war lächerlich, als hätte sie sich am heißesten Tag des Jahres erkältet. Sie wußte nicht, wo sie war, wußte nicht, wie ihr geschehen war. »Jetzt bist du dran«, sagte sie und spürte das Gefühl des Triumphs in sich aufsteigen.
    Sie standen sich gegenüber, keinen halben Meter voneinander entfernt, als die Männer, die beiden Schwarzen, aus dem Wagen stiegen und mit fuchtelnden Armen und rasend schnellen Mundbewegungen auf sie zukamen. Schaulustige blieben stehen, die Tür des Streifenwagens blitzte im Sonnenlicht, als sie aufschwang, und aller Augen richteten sich auf die schwarzblaue Uniform, den Schlagstock, den Revolver, die Schirmmütze. Er wollte abhauen, das wußte sie. Er wollte abhauen, und sie mußte ihn daran hindern. Sie wandte sich wieder zu ihm, zu aufgeregt, um zu bemerken, wer in der Uniform steckte und die Hand an den Schlagstock legte, oder um zu erkennen, wohin dies führen würde, wohin es in einer langen Abwärtsspirale unausweichlich immer geführt hatte, seit dem Tag, an dem die Mikroben in ihren Körper eingedrungen waren und sie aufgehört hatte, in der Welt der Hörenden zu leben. Sie bemerkte, daß sein Gesicht sich veränderte. Daß sein Blick ruhig wurde. Und dann trat die Polizistin zwischen sie, und sie sah in ein Gesicht, das sie erkannte, sah die Wut und Ungläubigkeit darin und wußte, daß sie schon wieder vor Gericht stand.
    Am deutlichsten erinnerte sie sich daran, wie man sie im Stich gelassen hatte – das würde sie nie vergessen. Sie versuchte, die richtigen Worte zu sagen, aber sie war fix und fertig und rang nach Atem. »Er«, sagte sie immer wieder und wies auf Peck Wilson, »das ist er, verhaften Sie ihn« – aber P. Runyon hörte ihr gar nicht zu, und in dem stummen Durcheinander aus Körpern und Gesichtern und dem Schock darüber, daß P. Runyon sie mit festem, unnachgiebigem Griff am Arm packte, sah Dana irgendwann auf und stellte fest, daß Peck Wilson nicht mehr dort war, wo er eben noch gewesen war. Er saß weder im Streifenwagen noch war er von dem anderen Polizisten festgenommen worden, dem älteren mit den Hängebacken, der sich mit den beiden Schwarzen und ihren fuchtelnden Armen und schnappenden Mündern befaßte. Sie spürte Panik aufsteigen und riß sich los, suchte mit wildem Blick nach ihm, wobei sie sich ein-, zweimal um sich selbst drehte. Die Menge sah sie gleichgültig an, Bäume wirbelten, Hemden, Blusen, Jeans, Shorts. P. Runyon legte ihr abermals die Hand auf den Arm, und abermals riß sie sich los. Sahen sie denn nicht, was hier geschah? »Peck Wilson«, rief sie, als wäre es der einzige Name, den sie kannte, und sie rief ihn immer wieder, bis ihr die Luft ausging.
    Als die Dolmetscherin endlich kam, war es zu spät. Dana wollte gehen, sie wollte sich unbedingt durch die Menge drängen und zu dem Haus mit der silberhaarigen Frau auf der Veranda zurückrennen – Sie können sie fragen, sie weiß alles, Sie können sie fragen –, aber davon wollte P. Runyon nichts wissen. Erst da fiel Bridger ihr wieder ein. War er verletzt? Oder hatte er nur Abschürfungen und blaue Flecken davongetragen, die er tapfer abtun konnte wie die Männer in den Filmen? Sie spürte das Flattern der Angst in der Kehle: Warum war er nicht hier, warum steuerte er nicht seine Stimme dem Gewirr bei? Er konnte alles erklären. Er konnte dieser Polizistin mit dem verkniffenen Mund, den grabschenden Händen und den Augen, deren Mitgefühl bei Null

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