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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ohnehin niemand für einen Jogger gehalten, und wenn er kein Jogger war, warum rannte er dann? Besonders hier, wo die Polizeisirene über die Baumwipfel heulte wie ein brennendes Flugzeug, von den Fenstern zurückgeworfen wurde und so laut war, daß man die Übertragung des Baseballspiels im Radio nicht mehr verstehen konnte? Er zwang sich zur Ruhe, obwohl sein Herz wie wild klopfte. Der Anzug war durchgeschwitzt, und er sah sicher beschissen aus: starrer Blick, die Hose am Knie zerrissen, die Arme schwingend, als wäre er irgendein Idiot, der von Tür zu Tür ging und Abonnements oder Staubsauger verkaufte. Dabei hatte er weder einen Staubsauger noch einen Aktenkoffer oder Bestellformulare unter dem Arm. Nur Schweiß. Und eine zerrissene Hose.
    Leute saßen auf der Vordertreppe oder hatten die Plastikstühle und den Grill im Vorgarten aufgebaut. Welcher Tag war heute eigentlich? Samstag. Picknick, Grill, kaltes Bier aus der Kühltasche. Zwei Kinder hockten im Schatten eines Straßenbaums und verbargen Zigaretten in den hohlen Händen. Sie sahen auf und musterten ihn – sie wußten genau, wer hier wohnte und wer nicht –, doch er ging einfach mit gesenktem Kopf weiter in Richtung Fluß, einen Block nach Süden, einen nach Westen, bis die Sirene verklang. Wahrscheinlich hatte jemand nicht nur einen Rettungswagen für Bridger Martin gerufen, sondern auch die Bullen, denn für eine Weile hatte er noch eine zweite Sirene gehört. Und sobald ein paar Dinge geklärt waren, würden sie nach ihm suchen. Ohne seine Schritte zu verlangsamen, holte er die Sonnenbrille hervor, zog das Jackett aus und hängte es über die Schulter. An der nächsten Ecke bog er in eine Straße ein, die steil bergab zum Bahnhof führte. Da unten war eine Bar, die er kannte, eine Bar für alte Männer, in einem alten Hotel, das es schon ewig gab. Dort würde es ruhig und dunkel sein, und niemand würde von seinem Drink aufsehen. Er würde ein Bier bestellen. Sich an die Theke setzen. Er würde in Sicherheit sein und Zeit haben, über die Dinge nachzudenken.
    Er mußte Natalia auf ihrem Handy anrufen, das war jetzt das Wichtigste, doch als er seine Taschen abklopfte, fiel ihm ein, daß sein Handy auf dem Armaturenbrett des Wagens lag – er sah es vor sich wie in einer Videoaufnahme. Und warum hatte er es auf das Armaturenbrett gelegt und nicht in die Tasche gesteckt? Weil er sie vom Wagen aus angerufen hatte, bevor er vom Parkplatz in das Einkaufszentrum gegangen war, um ihr zu sagen, er müsse kurz in das Spielzeuggeschäft gehen und noch etwas besorgen. Und sie hatte gesagt: »Für Madison?«, und er hatte geantwortet: »Vielleicht«, und sie hatte gesagt: »Das ist lieb. Du bist so lieb. Es tut mir so leid, daß ich zu spät für dich bin, und ich brauche auch nur noch eine Minute.«
    Na gut. Aber wo war sie jetzt? Hatten die Bullen sie mitgenommen? Wollten sie ihre Papiere sehen? Interessierten sie sich für ihre Aufenthaltsgenehmigung? Fragten sie sie, wie in einer Art Abbot-und-Costello-Sketch, immer wieder, wer Bridger Martin angegriffen habe, worauf sie ihnen immer wieder sagte, das sei Bridger Martin gewesen? Auf wessen Namen war der Wagen angemeldet? Und wo wohnte sie? Und dann war da noch Sukie. Und seine Mutter. Madison im Tagescamp. Es war ein Alptraum, und er sah keinen Ausweg, denn selbst bevor diese Schlampe aufgetaucht war und alles hatte in die Luft fliegen lassen, hatte er sich gefragt, was er sagen würde, wenn seine Mutter ihn Peck oder, schlimmer noch, Billy nannte und Natalia ihn bohrend ansah.
    Er blickte hoch, und da war der Fluß, teils verdeckt von den Dächern und aufragenden Mauern der Gebäude am Ufer. Der Bahnhof kam in Sicht, und ein Zug kroch, wie von einem unsichtbaren Seil gezogen, den Hügel hinauf. Das ganze lange Stück bis zum Fuß des Hügels hatten die Baumwurzeln die Bürgersteigplatten entlang der Straße angehoben und übereinandergeschoben wie Spielkarten, und bei diesen Unebenheiten spürte er die Verspannung in den Waden und den Oberschenkelmuskeln. Dann wurde die Straße eben, er war auf Höhe des Flusses, überquerte die Straße bei Rot und folgte einem Weg, der an der Rückseite eines Restaurants vorbeiführte, das er nicht kannte – es sah nach etwas Gehobenem, Italienischem aus, und selbst in der Hitze des Augenblicks spürte er den kühlen Stich der Ironie. Und schließlich zog er, nachdem er sich nach beiden Seiten umgesehen hatte, die Tür zu der Altmännerbar in dem alten Hotel auf, das nur

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