Talk Talk
kennengelernt hatten, wurde die Maschine – eine schwarze Electra Glide mit einem wunderschön roten Harley-Emblem auf dem bauchigen Tank – fahrbereit gemacht, und dann schwang er sich darauf, ließ sie einmal aufbrüllen und ritt die Straße hinunter und aus der Stadt. Für immer.
Der Morgen graute noch nicht, die Sterne im Osten wurden gerade etwas blasser, und der Mt. Tam im Westen war noch immer eine tiefschwarze Leerstelle im Sumpf aus Dunkelheit und Nebel. Seit er vor fünfzehn Minuten die Garage verlassen hatte, um zum Coffee Shop zu fahren, hatte sich nichts gerührt, und als das schwere Holztor hinter ihm zuschlug, stieg er mit dem Papptablett – das aus demselben Zeug bestand wie diese Eierkartons; wieso war ihm das eigentlich noch nie aufgefallen? – aus dem Wagen. In den vorgeformten Vertiefungen standen zwei große doppelte Café Latte, eine heiße Schokolade mit einer Extraportion Schlagsahne, eine weiße Papiertüte mit verschiedenen Croissants sowie ein halbes Dutzend Éclairs, die Madison in einen zuckerinduzierten Reisestupor versetzen sollten. Sie verreiste nicht gern, und das war ein Problem, aber Natalia hatte ein paar hundert Dollar für Malbücher, einen Miniaturbauernhof und Videos ausgegeben, die sie sich auf dem in der Rückseite des Beifahrersitzes eingebauten Monitor ansehen konnte.
Der Kaffee war heiß, die Croissants waren noch warm, doch anstatt damit sofort hinaufzugehen, stellte er das Papptablett auf der Motorhaube ab und öffnete vorsichtig die kleine Seitentür der Garage. Einen langen Augenblick stand er da, lauschte, beobachtete, roch zum letztenmal den schweren, kalten Geruch des Meeres. Und dann machte er, nur um sicherzugehen, einen kleinen Bummel über den Parkplatz und spähte in die Wagen, die reglos unter dem dünnen Überzug aus Tau dastanden. Er war ruhig, er atmete leicht und fühlte sich optimistisch, wenn er an das dachte, was vor ihm lag, auch wenn er es haßte, gehen zu müssen – er haßte es, vertrieben zu werden, er haßte diese elenden, schnüffelnden Schweine, die ihn aufgespürt und alles kaputtgemacht hatten, und dann ging er auf dem Kiesweg einmal um die ganze Anlage, und der Nebel (wie nannte Madison ihn noch mal? Der Atem der Bay ) kroch heran, um ihn einzuhüllen und wieder freizugeben.
Natalia hockte auf der Sofakante; sie trug ein grünes Samtkostüm, Strümpfe, hochhackige Schuhe, sie wartete auf ihn. Als er eintrat, war sie dabei, Make-up aufzulegen. Ohne Make-up ging sie nie irgendwohin, nicht mal zum Laden an der Ecke, um eine Schachtel Cracker zu kaufen. Sie lächelte nicht. Sie sah nicht mal von ihrem kleinen Spiegel auf. »Madison schläft noch«, sagte sie.
Er stellte das Tablett vor ihr ab wie das Opfer, das es darstellte. »Gut. Vielleicht kann ich sie zum Wagen tragen, und sie wacht erst in Tahoe auf, was meinst du?«
Sie antwortete nicht. Gestern abend – eigentlich heute morgen – hatte er alles gepackt, und er war erschöpft und freute sich auf das Hotel, die frischen Laken, den Zimmerservice, die herrliche Anonymität. Mit einer gewissen Befriedigung stellte er fest, daß Natalias und Madisons neue, zueinander passende Reisetaschen an der Haustür standen. Das Generve war vorbei, das Schmollen, das Streiten, vorbei die Tränen, die Forderungen und flehentlichen Bitten. Jetzt würde ein neuer Abschnitt beginnen. In wenigen Minuten würden sie dort draußen sein, den Schlüssel umdrehen und nie mehr zurücksehen.
»Ich hab ihr eine heiße Schokolade mitgebracht«, sagte er, »die von der Bäckerei, die sie am liebsten mag. Und Éclairs. Zur Feier des Tages.«
Natalia gehörte nicht zu den Müttern, die sich über den Zuckerkonsum ihrer Kinder Gedanken machten. In ihren Augen war alles, was man einer überfütterten, aufgeblähten kapitalistischen Gesellschaft abpressen konnte, etwas Gutes an sich, und Éclairs waren nur eine kleine Manifestation davon. Jetzt warf sie ihm über den Spiegel hinweg einen Blick zu. »Ja«, sagte sie, leicht amüsiert und versöhnlich, »das ist sehr nett. Du bist ein sehr netter Mann« – und er sah, daß sie seinen Namen sagen wollte, daß sie »Da-na« sagen wollte und es sich verbot. Sie beugte sich vor und nahm den Plastikdeckel von einem der Becher. »Ist das ein doppelter Café Latte?«
»Es sind beides doppelte Café Latte.«
Sie führte den Becher an den Mund, der weiße Schaum lag wie Gischt auf dem wächsernen Schimmer des Lippenstifts, bevor die Zunge ihn zergehen ließ. Die
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