Tallinn-Verschwörung
letztlich nur durch Pöbeleien und einige peinliche Affären aufgefallen. So hatte der Fraktionsvorsitzende in Bremen bei einer Veranstaltung eine junge Gegendemonstrantin mit einer scharfen Waffe bedroht und eine ihrer weiblichen Abgeordneten in Berlin im Nebenberuf als Domina gearbeitet und dabei Kunden aus anderen Parteien ausgehorcht.
Ein Stoß mit einem Gewehrkolben beendete Torstens gedanklichen Ausflug in die deutsche Politik. »Avanti!«, schnarrte der Feldwebel und deutete in die Richtung, in die Torsten nur ungern gehen mochte.
Er überlegte, ob er nicht doch ein paar Schüsse hätte abgeben sollen, um eine Patrouille hierher zu locken. Das kleine Funkgerät, welches zu seiner Ausrüstung gehörte, hatte die Explosion des Dingos nicht überstanden, doch an die andere Möglichkeit hatte er in seinem benommenen Kopf nicht gedacht und so eine Chance zur Rettung aus der Hand gegeben.
Während er müde und enttäuscht vor den Italienern herstapfte, eilte Graziella an seine Seite und hakte sich bei ihm unter. Einige der Freischärler grinsten, doch als einer von ihnen einen unzüchtigen Witz riss, fuhr ihn der Unteroffizier zornig an.
»Halt den Mund! Oder soll ich mir für dich etwas Besonderes einfallen lassen?«
Die Antwort bestand aus betretenem Schweigen.
SECHS
T orstens Hoffnung, ein Trupp der eigenen Leute könnte dem Dingo gefolgt sein und sich jetzt zu seinen und Graziellas Gunsten in das Geschehen einmischen, erfüllte sich nicht. Der Stoßtrupp, der ihn und die junge Frau gefangen genommen hatte, brachte sie zuerst an den Ort des Überfalls zurück, an dem Mazzettis Leute inzwischen jede Spur verwischt hatten, die darauf hinweisen konnte, dass hier ein Bundeswehrfahrzeug zu Schaden gekommen war.
Mazzetti begrüßte seine Leute erleichtert und musterte Torsten anschließend mit einem Blick, in dem neben Ärger auch Bewunderung lag. Ein Mann, der aus einem von einer Rakete getroffenen Fahrzeug herausgekommen war und noch auf seinen eigenen Beinen stehen konnte, nötigte ihm Respekt ab. Graziella hingegen beachtete er kaum.
»Ihren Dienstausweis?«, fragte er auf Englisch, da er nicht wusste, ob der Gefangene die italienische Sprache verstand.
Mazzettis Forderung passte Torsten ganz und gar nicht, denn damit würde sein Gegenüber wissen, zu welcher Einheit er gehörte. Andererseits hatte er kein Interesse daran, dass man ihm seine Papiere mit Gewalt abnahm. Daher zog er den Ausweis hervor und reichte ihn Mazzetti.
Der Freischärler nahm ihn entgegen und überflog ihn. Seine dunklen Augen wurden für einen Moment starr, als er die Einträge las, dann zuckte er mit den Schultern und steckte das Dokument ein.
»Ich glaube, wir werden uns später noch intensiv mit Ihnen unterhalten müssen, Leutnant Renk vom Abschirmdienst. «
»Gegen eine Unterhaltung habe ich grundsätzlich nichts einzuwenden.« Torsten versuchte sich gelassen zu geben. Er
wusste jedoch, dass solche Unterhaltungen, wie sein Gegenüber es genannt hatte, selbst bei den demokratischen Armeen unangenehme Folgen für den Befragten hatten. Den Kerlen hier aber fehlte jenes Mindestmaß an Achtung vor der Menschenwürde, das die regulären Soldaten zumeist besaßen. Also war es wohl besser, sich auf eine rauere Gangart einzurichten.
Graziella spürte, dass ihr Begleiter sich Sorgen machte, und drängte sich enger an ihn. »Tut mir leid, dass wir es nicht geschafft haben.« Sie hatte Angst, hauptsächlich um sich, aber auch um den verletzten Deutschen. Gleichzeitig war sie wütend auf ihre Landsleute, die in einem fremden Land Kriegsspiele abzogen.
»Mir tut es auch leid!« Torsten versuchte zu lächeln, doch die Sonne stach ihm in die Augen, und er hatte das Gefühl, als müsse sein Kopf jeden Augenblick platzen. Lange würde er nicht mehr gehen können, das spürte er. Er richtete seinen Blick nach vorne auf die Felswand, die beinahe senkrecht aus dem Boden ragte. Weiter oben ging sie in einen schrägen Hang über, der von Büschen und hartem Gras bedeckt war. Dort hätten Graziella und er sich besser verstecken können als in der Schlucht. Er ließ den Gedanken aber sofort wieder fahren. Mit ihren Hunden hätten die Freischärler sie auch dort erwischt.
SIEBEN
H oikens beugte sich über einen Stadtplan von Tallinn und zog mit dem Zeigefinger Linien zwischen den einzelnen Gebäuden, in denen sich die europäischen Regierungschefs samt ihrem türkischen Gast aufhalten sollten. Sein
Blick wurde immer wieder vom Ufer des Finnischen
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