Tallinn-Verschwörung
»Verdammt, wo kommt dieses Schwein her? Ich dachte, den hätte es längst erwischt. Aber wie es aussieht, war der Pfaffe, der ihn erledigen wollte, ein blutiger Amateur. Der Kerl hat es offensichtlich nicht einmal geschafft, unsere Spuren zu verwischen!«
Trotz der Fahndungsfotos hatte Torsten Feiling nicht einordnen können und ihn auch nicht weiter beachtet. Dafür ging es ihm viel zu schlecht. Hoikens aber erkannte er schon beim Eintreten. Zunächst stand er dessen Wutausbruch fassungslos gegenüber, doch dann begriff er, was den Mann so erregte. Sein Exkamerad schien fest davon überzeugt zu sein, er hätte dessen Spur von München aus bis hierher verfolgt. Am liebsten wäre Torsten in Gelächter ausgebrochen.
Im Grunde war er strafversetzt worden. Dabei auf Hoikens zu treffen war ein Zufall, wie es ihn wohl nur ein Mal im Jahrhundert gab. Gleichzeitig registrierte er, dass Hoikens und Feiling von einem Geistlichen Hilfe erhalten hatten. Diese Tatsache passte zu seinen Entdeckungen in dem Neuperlacher Hochhaus. Doch ihm blieb keine Zeit, länger über die Zusammenhänge nachzudenken, denn Hoikens stürzte sich mit einem wuterfüllten Schrei auf ihn und schlug mit beiden Fäusten auf ihn ein. Torsten versuchte sich zu wehren, war aber in seinem Zustand kein ernstzunehmender Gegner.
Als Mazzetti dazwischentreten wollte, hielt der General ihn zurück. »Lassen Sie den Deutschen!«
Graziella sah, wie Torsten sich stöhnend krümmte, um den harten Schlägen zu entgehen, und stürzte sich mit zu Krallen gebogenen Händen auf Hoikens. Dieser sah sie aus den Augenwinkeln kommen und hieb zu. Ihr Kiefer knirschte, als seine Faust sie traf. Dann prallte sie gegen die Wand und blieb benommen liegen.
Höhnisch lachend wandte Hoikens sich wieder Torsten zu und landete zwei harte Treffer. Er sah, wie sein Erzfeind langsam zusammensank, versetzte ihm zum Abschluss noch einen Fußtritt und drehte sich dann lächelnd zu Ghiodolfio um. »Dieses Schwein hat mich damals verraten, General. Jetzt wird er dafür bezahlen.«
Hoikens trat auf den Schreibtisch zu, auf dem Torstens spärlicher Besitz lag, und nahm die Sphinx AT 2000 S zur Hand. Seine Augen leuchteten auf, als er die Waffe überprüfte und spannte. Ohne dass Ghiodolfio ihn daran hinderte, stellte er sich neben Torsten, beugte sich nieder und setzte ihm die Mündung an die Schläfe.
Mazzetti trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Meine Leute haben dem Mann eine ordentliche Behandlung
zugesagt, Herr General. Es war die Bedingung dafür, dass er sich ergeben hat.«
»Gefangene haben keine Bedingungen zu stellen!«, wies Ghiodolfio ihn zurecht und sah gespannt zu, wie es weitergehen würde.
Torsten haderte mit den Zufällen des Schicksals. Seit Andreas Tod hatte er Hoikens gesucht und ihn ausgerechnet in einer Situation gefunden, die er weder hatte vorhersehen noch planen können. Während er darauf wartete, dass der Neonazi abdrückte, fragte er sich, ob er den Knall des Schusses vor seinem Ende noch hören würde.
Hoikens fühlte, wie die Waffe in seiner Hand zu zittern begann. Reiß dich zusammen, schalt er sich. Schließlich war er am Ende der Sieger, und Renk hatte versagt. Doch gerade diese Erkenntnis verhinderte, dass er den Zeigefinger krümmte. Mit einem höhnischen Laut zog er die Waffe zurück, sicherte sie und steckte sie in den Hosenbund.
»Du hast dir ein schönes Spielzeug zugelegt, Renk. Ich glaube, es wird mir gefallen.«
»Der Teufel soll dich holen!«
Hoikens fing schallend an zu lachen, und es dauerte eine Weile, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er wieder reden konnte. »Ich lasse dich noch eine Weile leben. Bevor du stirbst, sollst du meinen Triumph miterleben, der in der Geschichte einmalig sein wird. Bist du eigentlich wegen deiner Freundin hinter mir her? Ja? Dann bist du einem Irrtum aufgesessen. Ich habe sie nicht umgebracht. Das waren der Pavian Florian Kobner und Hochwürden Matthias Täuberich. Feiling war ebenfalls dabei. Wenn er Lust hat, kann er dir ja erzählen, wie es damals gelaufen ist. Ich habe dafür keine Zeit. In Tallinn werden sich bald die Regierungschefs der EU treffen, um die Verträge zu unterzeichnen, mit denen die
Türkei in die EU aufgenommen wird. Und genau das werde ich zu verhindern wissen!«
Hoikens redete wie im Rausch. Jahrelang hatte allein die Erinnerung an Renk ihm Albträume beschert, und als Kobner und Täuberich ausgerechnet dessen Freundin ermordet hatten, war er vor Angst fast gestorben.
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