Tallinn-Verschwörung
anvertrauten Akten ganz gewiss. Mittlerweile waren die Räumlichkeiten nach neusten Erkenntnissen
umgebaut worden, so dass die Unterlagen wohltemperiert ruhten und beinahe hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen waren. Selbst die alten Pergamente und Papyrusrollen würden darin noch etliche Jahrhunderte, wahrscheinlich sogar Jahrtausende überstehen. In einem hatte Rocchigianis Hausdame jedoch recht: Die Papiere ihres Kardinals würden irgendwo abgelegt und dann für Generationen vergessen werden.
»Grazie tanto!« Graziella stand auf und bat die Frau, ihr den Nachlass des Kardinals zu zeigen. Dabei stellte sie sich darauf ein, auch beim Durchsehen der Papiere die Gesprächslawine ihrer Gastgeberin ertragen zu müssen.
Sie hatte sich nicht geirrt, war aber trotzdem froh um die Anwesenheit der Dame, die ihr bei aller Redseligkeit nach Kräften half und alles schriftliche Material anreichte, das Kardinal Rocchigiani in seiner Bibliothek angesammelt hatte. Der Hausherr schien ein Freund der Feder gewesen zu sein, denn auf dem Boden stapelten sich Stöße von Papier, angefangen von seinen ersten Tagebüchern, in denen er noch mit seiner Berufung rang, bis hin zu Essays und mehreren Manuskripten wissenschaftlichen Inhalts. Es war sogar ein Roman dabei, in dem Graziella nun blätterte. Es schien sich um eine schwärmerische Erzählung über einen Kreuzritter zu handeln, der Jerusalem vor den muslimischen Horden rettete. Mit der geschichtlichen Wirklichkeit hatte die Geschichte kaum etwas zu tun, aber für Graziella waren die Zeilen ein deutlicher Hinweis, dass Rocchigiani ebenso wenig wie ihr Großonkel zu den Befürwortern eines Dialogs der Religionen gezählt hatte.
Was sie jedoch wirklich suchte, fand sie nicht, nämlich Unterlagen über die Söhne des Hammers. Etwas enttäuscht legte sie schließlich den letzten Packen Papiere zur Seite.
Die Hausdame schien dies als Kritik an ihrer Gastfreundschaft
anzusehen, denn sie schoss hinaus, um neuen Caffè Latte und Kuchen zu holen. Damit gab sie Graziella die Zeit, sich umzusehen. Ihr Blick wurde von einem Möbelstück angezogen, das sich dem im Haus vorherrschenden Rokokostil völlig entzog. Es war ein wuchtiger Schrank mit schmalen Schubfächern, ein Zwilling jenes Möbelstücks im Aufenthaltsraum ihres Großonkels, aus dem sie die Tassen mit dem Hammerzeichen genommen hatte.
Von dem Gedanken getrieben, endlich auf eine Spur gestoßen zu sein, untersuchte Graziella die Schubfächer. Alle bis auf eines ließen sich aufziehen. Als die Hausdame mit einem Tablett mit zwei Latte-Gläsern und einem neuen, in Schokoladensoße ersäuften Kuchenstück zurückkehrte, sprach Graziella sie darauf an.
»Wissen Sie, wo der Schlüssel zu diesem Fach sein könnte? Seine Eminenz hat ihn wahrscheinlich an einem Band um den Hals getragen.«
»Hat er nicht«, antwortete die Frau lächelnd. »Seine Haut war dort zuletzt so empfindlich, dass er den Kragen seiner Soutane mit einem Seidentuch abpolstern musste. Den Schlüssel bewahrte er in einer kleinen Kassette auf, die den Schmuck seiner verstorbenen Mutter enthielt.«
Graziella sprang auf. »Und wo ist diese Kassette?«
»Dort!« Die Hausdame stellte ihr Tablett ab, trat an den bewussten Schrank und zog ein Fach heraus, das auf den ersten Blick nur ein paar Bücher enthielt. Sie nahm diese heraus und drückte dann kurz gegen die Rückwand. Diese löste sich zu Graziellas Erstaunen und gab ein kleines Geheimfach frei, in dem die Kassette stand. Der Schlüssel steckte im Schloss, so als hätte Rocchigiani die anderen Sicherheitsmaßnahmen für ausreichend erachtet.
Die alte Dame öffnete die Kassette und zeigte Graziella mehrere hübsche Schmuckstücke, die ihren Gast jedoch
bei weitem nicht so brennend interessierten wie der kleine Schlüssel, der zuunterst lag. Graziella griff mit vor Erregung zitternden Händen danach, steckte ihn in das Schlüsselloch des versperrten Fachs und drehte ihn um. Ein leises Knacken ertönte, und sie konnte das Fach herausziehen. Ganz vorne lag die Schachtel mit den zwölf schwarzen Espressotassen, die ein goldenes Kreuz trugen. Sie nahm eine davon heraus, drehte sie und sah, dass sich auch hier das Kreuz in einem bestimmten Blickwinkel in einen Hammer verwandelte.
Graziella hielt sich nicht damit auf, sondern stellte den Karton unter dem missmutigen Schnauben ihrer Gastgeberin, die gewohnt war, diese Tassen als etwas Heiliges anzusehen, auf den Boden und bearbeitete die Rückwand des Faches so, wie
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