Tallinn-Verschwörung
gescheitert.
Die Männer und Frauen der regionalen Parteien im Norden legten sich auch sonst kaum Zügel an, wenn sie vor ihrem Wahlvolk standen und gegen die Regierung in Rom wetterten, der sie laut Koalitionsvertrag angehörten. Dabei hetzten sie kräftig gegen die Muslime, die den zivilisierten Westen überschwemmen würden. Die Regierung hatte auf Druck dieser Parteien sogar die Mittel für die Küstenwache aufgestockt, damit Flüchtlingsschiffe im Mittelmeer abgefangen und an ihren Ausgangsort zurückgebracht werden konnten. Gegen die Zigaretten- und Rauschgiftschmuggler, die von Albanien aus mit Schnellbooten herüber kamen, waren deren Schiffe jedoch ebenso machtlos wie die der Marine.
Graziella fragte sich, wie viele Leute an entscheidenden Stellen bestochen worden waren, damit dies so blieb. Gerade die Schmuggler brachten Männer nach Italien, die in die Fabriken gesteckt wurden und dort unter primitivsten Verhältnissen leben und arbeiten mussten, und Frauen, die in schmutzigen Bordellen landeten, anstatt die ihnen versprochenen Stellen als Küchenhilfen oder Putzfrauen zu erhalten.
Graziella starrte Rocchigianis Papiere an, die sie fein säuberlich vor sich aufgestapelt hatte, und schüttelte verärgert den Kopf. Die Stimmung im Land war schlecht, und Männer wie Winter versuchten, über die von ihnen zusätzlich geschürte Unzufriedenheit an die Macht zu kommen.
Wenn es mir wenigstens gelingen würde, diese Kröte Winter zu stoppen, dachte sie und griff erneut zum Telefonhörer. Als sich jemand in der päpstlichen Sommerresidenz in Castel Gandolfo meldete, fragte sie nicht nach ihrem Onkel,
sondern danach, wie lange der Heilige Vater noch dort bleiben würde.
»Ich bedauere, Ihnen hierauf keine Antwort geben zu können«, hieß es, dann wurde aufgelegt.
Graziella starrte das nutzlose Telefon an und überlegte. Benedikt XVI. hatte ihren Großonkel nach Castel Gandolfo gerufen, um ihn dazu zu bewegen, in den Ruhestand zu treten. Doch wie sie den Starrsinn des alten Herrn kannte, konnte das lange dauern. Ihr Großonkel hatte sie und die ganze Familie schon oft damit zur Verzweiflung gebracht und würde auch nicht vor dem Willen Seiner Heiligkeit kapitulieren.
Da ihr Rocchigianis Unterlagen in den Händen brannten, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als ihrem Großonkel nach Castel Gandolfo zu folgen. Anders als sie hatte er stets auf den Wagenpark des Vatikans zugreifen können und daher ein Auto als überflüssige Anschaffung angesehen. Graziella schwankte kurz, ob sie sich einen Leihwagen mieten oder ein Taxi nehmen sollte, und entschied sich für Letzteres. Während sie Wäsche und Kleidung in ihren Koffer packte, entschied sie, dass es sicherer war, nicht die gesamten Unterlagen über Winter mitzunehmen. Sie brauchte nur ein paar Blätter, um ihren Onkel überzeugen zu können. Den Rest würde sie ihm nach seiner Rückkehr aushändigen.
Nachdem sie gepackt hatte, verabschiedete Graziella sich von Nora und erklärte, den Kardinal in Castel Gandolfo besuchen zu wollen. Sie schlüpfte rasch genug aus dem Haus, um einem längeren Vortrag zu entgehen, denn Nora setzte sofort an, ihr zu erklären, dass ihr Großonkel gewiss angerufen und sie aufgefordert hätte, zu ihm zu kommen, und es gewiss nicht gerne sehen würde, wenn sie auf eigene Faust bei ihm erschien.
VIER
A n diesem Abend herrschte in der Villa im Münchner Westen eine Spannung, die man schier mit den Händen greifen konnte. Rudi Feiling saß auf der Couch und versuchte leger zu wirken, doch seine Hand verkrampfte sich um ein Glas Wodka Lemon, so dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Neben ihm saß sein Leibwächter Florian Kobner auf einem Lederhocker und zerlegte seine tschechische CZ 75. Er starrte dabei jedoch mehr auf den Fernseher, in dem gerade die Tagesschau lief, als auf seine Waffe.
»Dem Türkengesindel sollte man eins auf die Nuss geben«, sagte er zu Hoikens, der im Hintergrund auf einem Sessel den Bericht über die Vorbereitungen für die am nächsten Tag geplante Protestversammlung der islamischen Verbände in Deutschland aufmerksam verfolgte und abwinkte.
Kobner wandte sich beleidigt an seinen Anführer. »Das sagst du doch auch! Nicht wahr, Rudi?«
Feiling setzte sich auf, trank einen Schluck und grinste. »Unsere Kameraden aus Bayern und Sachsen sind bereits unterwegs. Sie werden dafür sorgen, dass Deutschland den morgigen Tag nicht so schnell vergessen wird.«
»Das muss einem aber auch gesagt werden!«
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