Tallinn-Verschwörung
Gruppen, die Teile Nordgriechenlands mit dem Zentrum Ioannina für sich fordern. Jetzt wollen griechische Nationalisten den halben Balkan für sich haben, da ihr Reich sich im Mittelalter bis zur Donau erstreckt hätte.«
Während er seinen Vortrag hielt, trat Steiff das Gaspedal durch. Obwohl die Straßen in einem bedauernswerten Zustand waren, bretterte er über die Schotterpisten, als besäßen die Stoßdämpfer seines Wagens das ewige Leben.
»Derzeit ist es hier direkt ruhig«, sagte er nach einer Weile.
»Vielleicht machen die Leute, die ihre Begrüßungssalven abgeben, gerade Mittagspause«, antwortete Torsten spöttisch.
»Es kann auch sein, dass sie nur jeden ungeraden Tag aktiv sind. Heute haben wir ja den Zwanzigsten.« Steiffs Humor ließ sich durch nichts erschüttern. Er durchquerte Vlažnia, bog dann nach Zur ein und hielt über Plava auf Dragaš zu.
»Ein Stück außerhalb von Dragaš haben wir ein Camp eingerichtet, um die Grenzen zu Albanien und Mazedonien zu überwachen«, berichtete Steiff, als der Ort in Sicht kam. »Es gibt zwar nur einen einzigen offiziellen Grenzübergang in der Gegend, aber Dutzende von Gebirgspfaden, über die Waffen und anderes geschmuggelt werden. Die alle zu überwachen ist unmöglich. Aber wir tun halt unser Bestes.«
Zum ersten Mal bemerkte Torsten eine gewisse Resignation, die Steiff bisher geschickt verborgen hatte. Wie es aussah,
konnte sich der Einsatz in dieser Gegend des Kosovo durchaus mit Afghanistan messen. Als Torsten in den Bergen einen Schatten entdeckte, griff er zur MP.
Steiff bemerkte es und blickte ebenfalls hoch, ohne das Tempo zu verringern. »Das ist nur ein Hirte«, sagte er. »Oder, besser gesagt, heute ist er nur Hirte. Morgen hält er vielleicht anstelle seines Steckens eine Kalaschnikow in der Hand.«
Während Torsten sich wieder etwas entspannte, erreichte der Wagen die Abzweigung, die zum Bundeswehrcamp führte. »Gleich haben wir es geschafft«, erklärte sein Begleiter.
Torsten blickte auf die hochragenden Bergwände, die ihm noch erdrückender erschienen als jene in Afghanistan, und stellte die Frage, die ihm seit ihrer Abfahrt in Prizren auf der Zunge lag.
»Weshalb haben Sie mich gleich hierher gebracht …?«
»… anstatt Ihnen die Möglichkeit zu geben, sich erst einmal in Prizren an die hiesigen Verhältnisse zu gewöhnen?«, fiel ihm Steiff ins Wort.
»So könnte man es ausdrücken.«
»Gegen unseren Posten ist Prizren ein gemütliches Nest, und wir wollen nicht, dass Sie den Eindruck gewinnen, der ganze Kosovo wäre so. Wir sind zwar keine dreißig Kilometer von der Stadt entfernt, aber hier herrscht ein raueres Klima, das können Sie mir glauben. Es gibt zwei rivalisierende Clanchefs in den Bergen, die fast noch lieber aufeinander als auf uns schießen lassen. Tetovo, eines der Zentren der Albaner in Mazedonien, liegt nicht weit von hier, ebenso die Stadt Kukës in Albanien. Dort herrscht ein lokaler Bonze, der mal zu dem einen Warlord und mal zu dem anderen hält. Nach einem Tag bei uns wissen Sie mehr über den Kosovo, als die in Prizren Ihnen in einem ganzen Monat beibringen können.«
Steiff klang erschreckend ernst. Torsten spürte, wie sein Nacken zu jucken begann. Mit einem Mal waren Hoikens und Feiling vergessen und Andreas Tod nur noch ein schwarzer Schatten irgendwo im Hintergrund. Nun kannte er nur noch eine Aufgabe: die Mörder seiner Kameraden zu finden.
VIERZEHN
H ajo Hoikens ließ seine Blicke über die aufragenden Felswände schweifen, zwischen denen sich der altersschwache Peugeot mühsam seinen Weg bahnte, und seufzte. »Schade, dass es bei uns keine solchen Berge gibt. Dann hätte der nationale Befreiungskampf längst begonnen.«
Feiling brummte etwas, das sein Gefolgsmann als Zustimmung auslegen konnte. »Das ist wohl richtig. Im Moment wäre es mir jedoch lieber, wenn wir erführen, wohin wir gebracht werden.«
Er drehte sich um und blickte auf den Wagen, der ihnen folgte. Darin saßen die beiden Italiener und die gefangene Frau. Feiling hatte nicht herausfinden können, wer sie war. Obwohl Lodovico genug Deutsch sprach, um sich mit dem österreichischen Lastwagenfahrer auch in dieser Sprache unterhalten zu können, tat er ihm und Hoikens gegenüber so, als verstünde er kein Wort. Auch der Albaner, der am Steuer des Wagens saß und einen wilden Slalom um die größten Schlaglöcher fuhr, hatte nur »Nuk kuptój« gesagt, und das hatte Hoikens als Nix kapito übersetzt.
Keiner von ihnen
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