Tallinn-Verschwörung
Magen krampfte sich zusammen. Auch wenn er aus der Bundeswehr ausgeschlossen worden war, fühlte er sich den einfachen Soldaten dort verbunden. Für Mazzetti mochte es ein Spaß sein, ein Bundeswehrfahrzeug abzuschießen, aber für ihn … Hoikens brach den Gedanken ab, da er zu nichts führte. Es ging um die Befreiung Europas, und dafür mussten Opfer gebracht werden. Außerdem hatte er an anderes zu denken als an ein paar Narren, die von der korrupten und unfähigen Regierung der Bundesrepublik in diese Gegend geschickt worden waren.
»Ich habe mir die Unterlagen angesehen, die der General mir gegeben hat. Ein Anschlag auf die europäischen Regierungschefs ist schwierig, aber nicht unmöglich.«
Mazzetti atmete auf. »Ich hatte gehofft, dass Sie so etwas sagen würden. Es ist die einzige Gelegenheit in diesem Jahr, die ganze Bande auf einem Haufen zu erwischen. Ansonsten müssten wir in den einzelnen Ländern zuschlagen, und das wäre bei weitem nicht spektakulär genug. Tallinn muss alles
übertreffen, was je geschehen ist, auch den siebzehnten März in Atlanta.«
Hoikens erinnerte sich an den Tag, an dem ein zu allem entschlossener Aktivist bei einem American-Football-Spiel einen präparierten Ball in die Präsidentenloge geschossen und den letzten Präsidenten der USA samt seinen wichtigsten Mitarbeitern und einigen Familienmitgliedern in die Luft gesprengt hatte. Diese Aktion würde er weit übertreffen – und dann würde es nur schiere Panik geben und keine kaltblütig handelnden Sicherheitsbeamten, die ihn in Stücke schossen wie den Attentäter von Atlanta.
»Ich habe einen Plan«, erklärte er Mazzetti von oben herab.
»Lassen Sie hören!«, forderte dieser ihn gespannt auf.
Hoikens berührte mit dem rechten Zeigefinger seine Stirn. »O nein! Vorerst sind die Einzelheiten hier am besten aufgehoben, und auch später werden nur ein paar ausgesuchte Leute davon erfahren.«
»Zu denen werde ich gehören!«
Mazzettis selbstbewusster Tonfall entlockte Hoikens ein breites Grinsen. »Sie spielen sogar eine große Rolle in meinen Überlegungen. Doch zuerst muss ich herausfinden, was sich verwirklichen lässt und was nicht. Wenn ich diese Aktion durchführen soll, brauche ich ein Ablenkungsmanöver.«
Mazzetti starrte Hoikens erwartungsvoll an. »Und wie soll das aussehen?«
»Beslan!« Der Deutsche sagte nur dieses eine Wort, doch sein Gegenüber begriff sofort, was er meinte.
»Und wer sollen die armen Kerle sein, die einen derartigen Überfall inszenieren?«
»Das, mein lieber Mazzetti, ist eure Sache. Ihr habt genug Männer unter Waffen, um dreißig oder vierzig von ihnen losschicken zu können.«
Mazzetti schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich schicke keinen meiner Kameraden sehenden Auges in den Tod!«
»Wie sagte der General? Für das große Ziel müssen Opfer gebracht werden. Sie müssen ja nicht unbedingt Ihre besten Freunde losschicken. Die Männer, die sich dort opfern, werden uns helfen, unseren Auftrag zu erfüllen. Vergessen Sie das nicht!«
Hoikens’ Appell tat seine Wirkung. Der junge Italiener sah sich in seiner Phantasie bereits eingereiht in die Helden des Befreiungskampfs und begann zu überlegen. Die Männer, die Hoikens losschicken wollte, mussten nicht unbedingt aus dem Camp A stammen. In der Heimat gab es genug junge Narren, die man dafür benutzen konnte.
ACHTZEHN
D ie wildromantische Bergwelt hätte Torsten Renk gefallen können, doch es war nicht die Zeit oder die Situation, die Umgebung zu bewundern. Er saß in einem gepanzerten Fahrzeug vom Typ Dingo und konzentrierte sich auf das Visier eines MG. Außer ihm befanden sich noch Leutnant Steiff und zwei weitere Soldaten in dem Gefährt. Einer lenkte das Fahrzeug, während der andere den Funkverkehr aufrechterhielt. Steiff stand hinter dem Fahrersitz und hielt sich an einer Dachstrebe fest, während er durch die Windschutzscheibe nach draußen starrte.
»Wir kommen jetzt bald zu der Stelle, an der es unsere Kameraden erwischt hat«, informierte er Torsten. Dieser löste seinen Blick vom Visier des Maschinengewehrs und drehte sich kurz zu Steiff um.
»Dann sollten wir vorsichtig sein.«
»Wir haben nichts anderes vor«, sagte der Fahrer sichtlich nervös. Auch Torsten merkte, dass seine Handflächen feucht waren, und rieb sie an seiner Hose trocken. Dann fasste er wieder den Griff des MG. Er hätte den Platz des Bordschützen auch einem anderen überlassen können, doch in einer solchen Situation wollte er nichts dem
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