Taltos
weißt du das?«
»Das Buch.«
»Welches Buch?«
»Ich habe ein Buch erhalten, das mich durch die Pfade leiten soll. Und Sethra hat auch geholfen.«
»Wer hat dir das Buch gegeben?«
»Es ist ein Familienerbstück.«
»Soso. Wie exakt ist es?«
»Das werden wir sehen, nicht wahr? Ohne mich wäre es dir wohl besser ergangen, denn dann hätte Sethra dir von sicheren Wegen berichten können.«
»Wieso konnte sie dir die sicheren Wege nicht sagen?«
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»Ich bin Dragaeraner. Ich darf es nicht wissen.«
»Oh. Wer erfindet eigentlich diese ganzen Regeln?«
Er warf mir einen seiner geringschätzigen Blicke zu und antwortete nicht. Wir kamen an einen weiteren Pfad, der in eine etwas andere Richtung führte. Morrolan meinte: »Versuchen wir den mal.«
»Du hast das Buch auswendig gelernt?« fragte ich.
Er antwortete: »Wollen wir’s hoffen.«
Jetzt war der Nebel dünner, und ich wollte von
Morrolan wissen, ob das ein gutes Zeichen war. Er schien es nicht zu wissen.
Etwas später sagte ich: »Ich nehme an, es gibt gute Gründe, das Buch nicht mitzubringen.«
»Es ist nicht gestattet«, gab er zurück.
»So, wie ich es verstehe, ist diese ganze Reise nicht gestattet.«
»Warum sollte man es also noch schlimmer machen?«
Das ließ ich mir durch den Kopf gehen und sagte:
»Hast du irgendeine Ahnung, was passieren wird?«
»Wir erscheinen vor den Göttern des Jüngsten
Gerichts und bitten sie, meine Cousine
wiederherzustellen.«
»Haben wir überzeugende Gründe, warum sie es tun sollten?«
»Weil wir die Stirn haben zu fragen.«
»Oh.«
Kurz darauf erreichten wir einen flachen, gräulichen Stein, der in der Mitte des Pfades lag. Er war von unregelmäßiger Form, vielleicht einen halben Meter breit, etwas über einen Meter lang und ragte etwa eine Handbreit aus der Erde. Morrolan blieb stehen und sah ihn sich eine Weile zähneknirschend an. Nachdem ich ihn 167
einen Moment in Ruhe gelassen hatte, damit er
nachdenken konnte, fragte ich: »Willst du’s mir sagen?«
»Der Stein stellt einen vor die Wahl. Je nachdem, wie wir um ihn herumgehen, werden wir einen anderen Weg nehmen.«
»Und wenn wir einfach über ihn laufen?«
Er warf mir einen welken Blick zu und antwortete nicht. Dann ging er seufzend rechts an ihm vorbei. Ich folgte ihm. Der Pfad ging weiter durch kahle Bäume hindurch, ohne daß ich einen Unterschied feststellen konnte.
Kurz darauf hörten wir Wölfe heulen. Ich sah
Morrolan an, der nur mit den Schultern zuckte. »An dieser Stelle ist mir eine äußerliche Bedrohung lieber als eine von innen.«
Ich entschloß mich, lieber nicht nachzufragen, was das zu bedeuten hatte. Auf meiner Schulter rutschte Loiosh unruhig hin und her. Ich sagte: »Ich bekomme den Eindruck, daß diese Sachen hier mit Absicht in unseren Weg gelegt wurden, als Prüfung oder so.«
»Ich auch«, meinte Morrolan.
»Du weißt es nicht?«
»Nein.«
Noch mehr Geheule, und: »Loiosh, hast du eine Ahnung, wie weit das entfernt war?«
»Was, hier, Boß? Zehn Schritte oder zehn Meilen.
Alles ist hier so verdreht. Wenn ich was riechen könnte, ginge es mir besser. Das jagt mir Angst ein.«
»Möchtest du vielleicht mal ein bißchen herumfliegen und dich umsehen?«
»Nein. Ich würde nicht wieder zurückfinden.«
»Bist du sicher?«
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»Ja.«
»Na gut.«
Zu meiner Rechten konnte ich eine Bewegung
erahnen, und als mir das Adrenalin durch den Körper schoß, wurde mir klar, daß Morrolan sein Schwert gezogen hatte, und ich auch. Dann tauchten graue Gestalten aus dem Nebel auf und flogen durch die Luft auf uns zu, und nach einer grauenerregenden Weile verzweifelten Kampfes war es vorüber. Ich hatte nichts berührt, und nichts hatte mich berührt.
Morrolan nickte mit einem Seufzer. »Sie konnten uns nicht erreichen«, sagte er. »Das hatte ich gehofft.«
Ich steckte meine Klinge weg und wischte mir den Schweiß von den Händen. Dann sagte ich: »Wenn das das Schlimmste war, was wir zu befürchten haben, bin ich doch zufrieden.« Loiosh kam aus meinem Umhang
gekrochen. Morrolan sagte: »Keine Sorge, das war es nicht.«
Loiosh erklärte, er sei jetzt über ein Jahr alt. Ich gestand ein, daß er recht hatte. Dann meinte er, er sei jetzt verdammt noch mal fast ausgewachsen und sollte mir helfen dürfen. Ich überlegte, wie er mir wohl helfen konnte. Er schlug mir eine Möglichkeit vor. Mir fiel kein Argument dagegen ein, und dabei blieb es dann.
Früh am nächsten Morgen lief ich wieder zu Gruff.
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