Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Augen anstarrte.
Bruder hasste Ki. Er wollte nicht verraten, weshalb, aber Tobin erkannte an der Art, wie er den lebenden Jungen ansah, dass er ihn kneifen, schlagen und verletzen wollte. Jedes Mal, wenn Tobin Bruder rief, mahnte er ihn, es nicht zu tun, doch das hielt ihn nicht von anderen Dingen ab, die Ki erschreckten, zum Beispiel, ihm Gegenstände aus der Hand zu reißen oder am Tisch seine Schale umzukippen. Ki zuckte dabei stets ein wenig zusammen und zischte Flüche zwischen den Zähnen hervor, aber er rannte nie weg oder schrie auf. Tharin meinte, standhaft zu bleiben, wenn man Angst hatte, sei ein Zeichen wahren Mutes. Ki konnte Bruder zwar nicht sehen, doch nach einer Weile behauptete er, seine Gegenwart manchmal zu spüren.
Wäre es nach Tobin gegangen, hätte er Bruder wegge schickt und eine Weile hungern gelassen, aber er hatte Lhel geschworen, dass er sich um ihn kümmern würde, und er konnte sein Wort nicht brechen. Also rief er Bruder jeden Tag, und der böse Geist umschlich ihre Spiele wie ein unerwünschter Hund. Im Spielzimmer drückte er sich in den Schatten herum, und er begleitete sie in den Wald, wenn sie ausritten. Irgendwie gelang es ihm stets, mit den Pferden Schritt zu halten, ohne zu rennen. Eingedenk sei nes Traumes hatte Tobin Bruder einmal angeboten, hinter ihm auf dem Pferd zu reiten. Der Geist hatte dies mit seinem üblichen, verständnislosen Schweigen begrüßt.
Ki deutete auf eine weitere Wolke. »Die sieht aus wie die kunstvollen Kuchen, die bei mir zu Hause beim Blumenfest verkauft werden. Und da ist ein Hundekopf, dem die Zunge zum Maul herausbaumelt.«
Tobin zupfte sich ein paar schwarze Zweizähne aus dem Haar und schnippte die piekenden Samen den Formen am Himmel entgegen. »Mir gefällt, wie sie sich im Vorbeiziehen verwandeln. Jetzt sieht dein Hund eher wie ein Drache aus.«
»Der große Drache Illiors, nur weiß statt rot«, pflichtete Ki ihm bei. »Wenn dein Vater uns nach Ero mitnimmt, zeige ich dir das Gemälde davon im Tempel in der Goldschmiedstraße. Es ist hundert Fuß lang, hat Juwelen als Augen, und die Schuppen sind mit Gold umrandet.« Abermals suchte er den Himmel ab. »Und der Kuchen sieht inzwischen aus wie unser Hausmädchen Lilain mit Alons Bastard seit acht Monaten im Bauch.«
Tobin spähte zu seinem Freund hinüber und erkannte an dessen schiefem Grinsen, dass gleich eine Geschichte folgen würde.
Und tatsächlich fuhr Ki fort. »Wir dachten, Khemeus würde die beiden umbringen, weil er ihr schon hechelnd nachgegiert hatte, seit sie bei uns eingezogen hat …«
»›Eingezogen ist ‹«, berichtigte ihn Tobin. Arkoniel hatte ihm die Aufgabe übertragen, Ki dabei zu helfen, richtig reden zu lernen.
»Dann eben bei uns eingezogen ist!«, sagte Ki und verdrehte die Augen. »Jedenfalls haben sich die Jungs letzten Endes mit einem Faustkampf hinten aufm Hof begnügt. Es hat in Strömen geschüttet, und sie sind in den Dunghaufen gefallen. Dann sind sie losgezogen und haben sich betrunken. Als Lilains Balg dann auf die Welt kam, hat er erst wie Khemeus ausgesehen, also war er wahrscheinlich doch von ihm, und er und Alon haben darüber gleich noch mal gerauft.«
Tobin starrte auf die Wolke und versuchte, sich den Sinn dieser neuen Erzählung zusammenzureimen. »Was ist ein Bastard?«
»Du weißt schon, ein Kind, das auf die Welt kommt, wenn der Mann und die Frau nicht miteinander verbandelt sind.«
»Oh.« Das sagte ihm herzlich wenig. » Wie ist es in den Bauch des Mädchens gekommen?«
Ki stützte sich auf einen Ellbogen und glotzte Tobin ungläubig an. »Das weißt du nicht? Hast du noch nie Tiere dabei beobachtet?«
»Wobei?«
»Na ja, beim Rammeln natürlich! Wenn ein Hengst auf den Rücken einer Stute klettert oder ein Hahn eine Henne besteigt? Bei Bilairys Hintern, Tobin, du musst doch wenigstens schon mal gesehen haben, wie Hunde rammeln, oder?«
»Oh, ach das!« Nun wusste Tobin, was Ki meinte, wenngleich er noch nie gehört hatte, dass es jemand so bezeichnete. In der Annahme, dass es sich um ein weiteres jener Wörter handelte, die Nari und Arkoniel missbilligen würden, speicherte er es verzückt in seinem Gedächtnis. »Du meinst, Menschen machen das auch?«
»Aber klar doch!«
Tobin setzte sich auf und schlang die Arme um die Knie. Er empfand den Gedanken zugleich als aufregend und beunruhigend. »Aber … wie? Würden sie dabei nicht umfallen?«
Johlend vor Gelächter kippte Ki auf den Rücken. »Wohl kaum! Du hast noch nie
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