Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
erwies sich Ki als besserer Verbündeter. Sie schürte seine Neugier so wie die jedes gewöhnlichen Kindes, und seine Begeisterung ebnete den Weg für Arkoniels Versuch, Tobins eigenartigen Ängsten zu begegnen. Der Zauberer begann mit kleinen Trugbildern und ein paar schlichten Erschaffungen. Doch während sich Ki mit seiner üblichen, sorglosen Ungezwungenheit auf derlei Zeitvertreib stürzte, blieben Tobins Verhaltensweisen weit weniger vorhersehbar. Lichtsteine und Feuerspäne schienen ihn zu erfreuen, doch wann immer Arkoniel eine weitere Visionsreise vorschlug, wurde er argwöhnisch und schreckte davor zurück.
Auch Tharin war sehr zufrieden mit Ki. Der Junge besaß ein angeborenes Verständnis für Ehre und vertiefte sich glücklich in die Ausbildung eines Knappen. Er erlernte die Grundzüge des Tischdienstes, obwohl man in der Feste wenig Förmlichkeiten frönte, und bemühte sich emsig, auch die Kunst der sonstigen Knappendienste zu meistern, wenngleich Tobin zumeist störrisch verweigerte, sich bedienen zu lassen. So lehnte er jede Hilfe beim Baden oder Ankleiden ab und zog es zudem vor, sich selbst um sein Pferd zu kümmern.
Als am nützlichsten erwies sich Ki letztlich beim Schwertkampf. Er war weniger als einen Kopf größer als Tobin und hatte mit seinen Brüdern und Schwestern ge kämpft, seit er Laufen konnte. Dadurch gab er einen geeigneten und obendrein sehr anspruchsvollen Übungsgefährten ab. Meist gingen aus den Kämpfen Ki siegreich und Tobin voller blauer Flecke hervor. Tobin musste man zugute halten, dass er deshalb selten schmollte, sondern bereitwillig zuhörte, wenn Tharin oder Ki ihm erklärten, was er falsch gemacht hatte. Hilfreich war vermutlich, dass Tobin im Bogenschießen und Reiten Ki überlegen blieb. Bis Ki in die Feste gekommen war, hatte sein Hinterteil nie auf einem richtigen Sattel gesessen. Dem Namen nach mochte er der Sohn eines Ritters sein, aufgewachsen jedoch war er wie ein Bauernspross. Wahrscheinlich lag es daran, dass er sich nie gegen eine Aufgabe sträubte und sich dankbar für jeden Gefallen zeigte. Tobin seinerseits, der zu lange zu engen Umgang mit den Frauen gepflegt hatte, betrachtete jede neue Aufgabe als Spiel und bestand häufig darauf, bei niedrigen Arbeiten zu helfen, die in Erwägung zu ziehen die meisten Söhne von Adeligen als Beleidigungen empfunden hätten. Infolgedessen wurde er mit jedem Tag aufgeweckter und dunkelhäutiger. Die Männer in den Kasernen schrieben alles Ki zu und erkoren beide zu ihren Lieblingen.
Wenn sich Nari oder Arkoniel darüber beschwerten, dass Tobin an Kis Seite die Ställe ausmistete oder eine Wand instand setzte, scheuchte Tharin sie einfach zurück ins Haus.
»Der Dämon ist ruhiger, seit er hier ist«, murmelte Rhius und riss Arkoniel damit aus dessen Gedanken.
»Tatsächlich?«, erwiderte er. »Ich vermute, ich bin noch nicht lange genug hier, um es zu beurteilen.«
»Und er scheint Tobin nicht mehr zu verletzen, seit – seit seine arme Mutter gestorben ist. Vielleicht war es trotz allem so am Besten.«
»Das könnt Ihr nicht ernst meinen, Herr!«
Rhius’ Blick blieb auf die Weide geheftet. »Du kanntest meine Gemahlin, als sie glücklich war und es ihr gut ging. Du hast nicht miterlebt, was aus ihr wurde. Du warst nicht hier, um es zu sehen.«
Darauf wusste Arkoniel nichts zu entgegnen.
Die Jungen hatten sich indes auf einen Waffenstillstand geeinigt. Sie lagen nebeneinander im verschneiten Gras und deuteten auf die Wolken, die über den blauen Winterhimmel trieben.
Arkoniel schaute auf und lächelte. Es lag Jahre zurück, dass er zuletzt daran gedacht hatte, ein Spiel daraus zu machen, Formen in den Wolken zu suchen. Vermutlich war es für Tobin das erste Mal, dass er es versuchte.
»Schau«, sagte Ki. »Die Wolke dort ist ein Fisch. Und die da drüben sieht aus wie ein Kessel, aus dem ein Schwein klettert.«
Tobin hatte keine Ahnung, dass der Zauberer ihn beobachtete, doch seine Gedanken gingen in eine ähnliche Richtung wie jene Arkoniels. Seit Kis Ankunft schien sich alles verändert zu haben, und diesmal zum Besseren. Während er auf der Weide lag, ihm die Sonne auf das Gesicht schien und die Kälte durch seinen Mantel kroch, fiel es ihm leicht, seine Mutter, den Dämon und all die anderen Schatten zu vergessen, die in den Winkeln seiner Erinnerung lauerten.
Fast gelang es ihm, gänzlich über Bruder hinwegzusehen, der ein paar Schritte entfernt kauerte und Ki mit schwarzen, hungrigen
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