Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Arkoniel fragte Lhel, ob es möglich wäre, dass der Geist endlich Ruhe finden würde, doch die Hexe schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nein, und du das auch nicht willst.«
Sofern Tobin überhaupt an den Tod seiner Mutter dachte, sagte er nichts davon. Das einzige Anzeichen dafür, dass er ihm nach wie vor zu schaffen machte, war seine Abneigung gegen den Turm.
Die letzten verbliebenen Wolken am jugendlichen Horizont des Prinzen bildeten die Abwesenheit seines Vaters und der Umstand, dass er sich ihm nicht in Mycena anschließen dufte.
Seit Ahras Besuch im vorangegangenen Sommer war Tobin und Ki schmerzlich bewusst, dass jüngere Burschen als sie in den Krieg gezogen waren. Arkoniels Beteuerungen, dass keinem Jungen von Tobins Rang, nicht einmal dem Königlichen Prinzen selbst, gestattet würde, an Schlachten teilzunehmen, halfen wenig, um die Verletzung seines Stolzes zu lindern.
Seither probierten beide Jungen mindestens einmal im Monat die Rüstung an, die Rhius zurückgelassen hatte, und schworen, dass sie ihnen wie angegossen passte, obschon sie ihnen die Ärmel des Kettenhemds in Wahrheit noch weit über die Fingerspitzen hingen. Ihre Waffenübungen setzten sie mit grimmiger Entschlossenheit fort und zerschmetterten dabei genug Übungsklingen, um Köchin den Winter hindurch mit Anmachholz zu versorgen.
Tobin nutzte seine hart erworbenen Schreibfähigkeiten und hatte stets einen dicken Packen Briefe für die Boten seines Vaters bereit. Fallweise antwortete Rhius, wenngleich er in seinen Schreiben nie auf Tobins Flehen einging, sich ihm anschließen zu dürfen. Dafür jedoch schickte er einen Waffenschmied in die Feste. Der Mann nahm mit seinen Schnüren und Zirkeln maß, und noch binnen desselben Monats besaßen beide Jungen richtige Schwerter, mit denen sie üben konnten.
Ansonsten nahm das Leben seinen gewohnten Lauf, bis Arkoniel die beiden Jungen eines Sommertags dabei belauschte, wie sie die Entfernung nach Ero abzuschätzen versuchten und überlegten, wie sie sich Fremden auf der Straße vorstellen könnten. In jener Nacht brachte er an jedem von ihnen still und heimlich eine kleine Glyphe an, als sie schliefen, für den Fall, dass er sie irgendwann später suchen müsste.
Ki und Tobin rissen zwar nicht aus, aber den ganzen langen und heißen Sommer hindurch murrten, grummelten und redeten sie über den Krieg und über Ero.
Ki war tatsächlich nur einige wenige Male in der Hauptstadt gewesen, doch für Tobin schilderte er jeden Besuch aus dem Gedächtnis. Wenn sie abends bei der staubigen Spielzeugstadt saßen, deutete er bald hierhin, bald dorthin, malte mit seinen Worten ein Bild und ließ einen neuen Abschnitt in Tobins Vorstellungskraft lebendig werden.
»Hier in etwa liegt die Goldschmiedstraße, und da der Tempel«, erklärte Ki. »Und erinnerst du dich an den gemalten Drachen an der Wand hier drüben?«
Tobin befragte ihn ausführlich über Pferde und Händler der Aurënfaie, die er bei der Pferdemesse gesehen hatte, und er ließ ihn wiederholt alles beschreiben, woran er sich über die Schiffe mit ihren bunten Segeln und Bannern in den Häfen erinnern konnte.
Es war jedoch Tobin, der Ki beibrachte, was sich innerhalb der Mauern des Palatinkreises befand, denn dort war Ki nie gewesen. Als Grundlage dafür hatte Tobin zwar nur die Geschichten seines Vaters und Tharins, aber die kannte er fast auswendig. Auch in der königlichen Ahnenreihe unterwies er seinen Freund, indem er die kleinen Könige und Königinnen aus der Truhe auf dem Palastdach aufreihte.
Untertags streiften sie durch die Wälder und über die Weide und trugen dabei wenig mehr als kurze Leinenkilts. Für mehr war es an den meisten Tagen zu heiß. Sogar Arkoniel glich sich ihrer Aufmachung an und störte sich nicht allzu sehr daran, wenn sie über seinen blassen, behaarten Körper kicherten.
Auch Lhel entblätterte sich angesichts der Hitze. Als sie zum ersten Mal nur mit einem kurzen Rock bekleidet aus den Bäumen hervortrat, um sie zu begrüßen, war Tobin entsetzt. Den Großteil Naris hatte er oft genug gesehen, wenn sie sich umzog oder badete, aber noch nie eine andere Frau. Und Nari hatte kleine Brüste, war rundum weich und blass. Lhel war nichts dergleichen. Sie war rundum braun gebrannt, und ihr Körper wirkte beinah so hart wie der eines Mannes, aber nicht flach und kantig. Ihre Brüste hingen wie riesige, reife Pflaumen herab und wogten, wenn sie ging. Ihre Beine und Seiten waren fest, ihre Hüften breit
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