Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
unmittelbar neben sich auf der Straße sehen konnte. »Er stieß bis zum Ende seinen Kriegsschrei aus, und all seine Wunden erhielt er von vorne. Ich habe gesehen, wie er mindestens vier Männer getötet hat, bevor er fiel. Kein Krieger könnte sich einen besseren Tod wünschen.«
Tobin fühlte sich leicht, als könnte sein Körper wie ein Seidenpflanzensamen von der Brise fortgeweht werden. Vielleicht kann ich Vaters Geist sehen. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, Vaters Schemen in der Nähe des Kruges zu erspähen, aber Bruder stand alleine dort, die schwarzen Augen dunkle Löcher im Gesicht, als er langsam verblasste und verschwand.
»Tobin?«
Tharins Hände ruhten auf seinen Schultern und hielten ihn fest, damit er nicht weggeweht wurde. Tobin wollte Tharin nicht anblicken, wollte die Tränen nicht sehen, die behäbig zwei Pfade in den Staub auf den Wangen des Hauptmanns gruben. Er wollte nicht, dass die anderen Fürsten und Soldaten sahen, wie Tharin weinte.
Stattdessen schaute er an ihm vorbei und erblickte Ki, der die Straße herabgerannt kam. »Seinem Fuß muss es wohl wieder besser gehen.«
Tharin brachte das Gesicht näher zu jenem Tobins und betrachtete ihn mit äußerst merkwürdiger Miene. Mittlerweile hörte Tobin einige der anderen Männer weinen, was er noch nie zuvor erlebt hatte. Soldaten weinten nicht.
»Ki«, erklärte Tobin, während sein Blick zurück zum Pferd seines Vaters wanderte. »Er hat sich den Zeh verletzt, aber jetzt kommt er gerade.«
Tharin ergriff eine Scheide von seinem Rücken und legte das darin steckende Schwert des Herzogs in Tobins Hände. »Auch das gehört jetzt dir.«
Tobin umklammerte die Waffe, die sich so viel schwerer anfühlte als die seine. Zu groß für mich. Genau wie die Rüstung. Noch etwas, das es für später aufzuheben galt. Zu spät.
Er hörte Tharin reden, aber es fühlte sich an, als sei sein Kopf mit Pusteblumen vollgestopft; es fiel ihm schwer, irgendetwas einen Sinn beizumessen. »Was machen wir mit der Asche?«
Tharin drückte ihn an sich. »Wenn du bereit bist, bringen wir deinen Vater nach Ero und betten ihn in der königlichen Gruft neben deiner Mutter zur ewigen Ruhe. Dann werden sie endlich wieder vereint sein.«
»In Ero?«
Vater hatte immer versprochen, ihn einst nach Ero mitzunehmen.
Stattdessen schien es, dass er Vater dorthin mitnehmen müsste.
Tobins Augen brannten, und seine Brust schmerzte, als wäre er den ganzen Weg aus dem Dorf hergelaufen, aber es wollten keine Tränen kommen. Innerlich fühlte er sich so trocken wie der Staub unter seinen Füßen.
Tharin stieg wieder auf sein Pferd, und jemand half Tobin, der nach wie vor das Schwert seines Vaters umklammerte, hinter ihm hinauf.
Ki stieß auf halbem Weg zum Haus zu ihnen, atemlos und humpelnd. Er schien bereits zu ahnen, was geschehen war, und brach in stumme Tränen aus, als er die am leeren Sattel verzurrten Waffen und Rüstungsteile erblickte. Dann ging er zu Tobin, umfasste mit beiden Händen das Bein seines Freundes und lehnte die Stirn gegen dessen Knie. Schließlich kam Koni und half Ki auf sein Pferd.
Als sie den Rest des Weges den Hügel hinaufritten, spürte Tobin bei jedem Hufschlag des Pferdes, wie das Goldsignet seines Vaters schwer gegen sein Herz schwang.
Nari und die anderen kamen ihnen am Haupttor entgegen und stimmten ein schreckliches Wehklagen an, noch bevor Tharin ihnen erzählen konnte, was geschehen war. Sogar Arkoniel weinte.
Nari zog Tobin in eine innige Umarmung, als er abstieg. »Oh, mein armer Schatz«, schluchzte sie. »Was sollen wir jetzt nur machen?«
»Wir reisen nach Ero«, versuchte er ihr zu sagen, aber er bezweifelte, dass sie ihn hörte.
Die Ausrüstung und die Asche wurden in die Halle getragen und vor dem Schrein aufgebahrt. Tharin half Tobin, Gosis Mähne zu stutzen und sie mit einer Locke seines eigenen Haares auf dem Kasernenhof zu Ehren seines Vaters zu verbrennen.
Dann sangen sie am Schrein traurige Lieder, die alle außer Tobin zu kennen schienen, und Tharin ließ beide Hände auf Tobins Schultern ruhen, als er Gebete an Astellus und Dalna sprach, auf dass sie sich um seines Vaters Geist kümmerten, und anschließend an Sakor und Illior, auf dass sie den Haushalt beschützen mögen.
Für Tobin glich alles nur einem verschwommenen Wortschwall. Als Bruder erschien und eine der schmutzigen, knorrigen Wurzeln seines Baumes auf die Ablage des Schreins legte, war Tobin zu müde, um sie zu entfernen. Niemandem sonst
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