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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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fiel sie auf.
    Als die Gebete und Lieder vorüber waren, nahm Tharin Tobin beiseite, kniete sich neben ihn und zog ihn neuerlich dicht an sich. »Ich war bei deinem Vater, als er starb«, sagte der Hauptmann leise und hatte wieder diesen merkwürdigen Ausdruck in den Augen. »Wir haben über dich gesprochen. Er hat dich mehr als alles andere auf der Welt geliebt und war so traurig, dich verlassen zu müssen – « Tharin wischte sich über die Augen und räusperte sich. »Er hat mich damit beauftragt, dein Beschützer zu sein, und so werde ich diese Rolle für den Rest meines Lebens erfüllen. Du kannst dich immer auf mich verlassen.«
    Damit zog er sein Schwert und stellte es mit der Spitze nach unten vor sich. Er ergriff Tobins Hand, legte sie auf den abgewetzten Griff und bedeckte sie mit der seinen. »Ich gelobe bei den Vieren und meiner Ehre, dir den Rest meiner Tage beizustehen und zu dienen. Denselben Eid habe ich deinem Vater geschworen. Hast du verstanden, Tobin?«
    Der Junge nickte. »Danke.«
    Tharin steckte das Schwert in die Scheide zurück und umarmte Tobin eine lange Weile. Schließlich löste er sich von ihm, stand auf und schüttelte den Kopf. »Bei den Vieren, ich wünschte, es wäre meine Asche in diesem Krug und nicht die seine. Dafür würde ich alles geben.«
     
    Als alles vorüber war, schwand bereits das Tageslicht. Die Essenszeit kam und ging, aber niemand zündete ein Feuer an oder kochte. Alle verbrachten die Nacht in der Halle. Totenwache, so nannte es Tharin. Bei Einbruch der Dunkelheit zündete er eine einzige Lampe im Schrein an, der Rest des Hauses jedoch blieb finster.
    Einige der Bediensteten legten sich schlafen, die Krieger hingegen knieten mit den blanken Schwertern vor sich in einem Halbkreis um den Schrein. Nari richtete für Tobin eine Pritsche am Kamin her, aber er konnte sich nicht hinlegen. Eine Weile gesellte er sich zu den Männern, aber ihr Schweigen ließ ihn sich ausgeschlossen und alleine fühlen. Letztlich schlich er zum fernen Ende der Halle und kauerte sich in der Nähe der Treppe auf die Binsen.
    Dort fand ihn Ki vor und setzte sich neben ihn. »Du hast so etwas noch nie gesehen, oder?«, flüsterte er.
    Tobin schüttelte den Kopf.
    »Sie müssen doch auch irgendetwas gemacht haben, als deine Mutter gestorben ist.«
    »Ich weiß es nicht.« An jene Zeit zu denken, jagte ihm immer noch einen Schauder über den Rücken. Ki musste es bemerkt haben, denn er rückte näher und schlang einen Arm um ihn, wie es zuvor Tharin getan hatte. Tobin sackte gegen ihn und stützte den Kopf auf seine Schulter, dankbar für den schlichten, aber herzlichen Trost. »Ich erinnere mich nicht daran. Ich habe sie auf dem Eis liegen gesehen, danach war sie einfach weg.«
    Er hatte nie danach gefragt, was aus ihr geworden war. Nari hatte später ein- oder zweimal darüber zu reden versucht, doch Tobin hatte es damals nicht hören wollen. Er hatte sich die Finger in die Ohren gestopft und den Kopf unter den Laken vergraben, bis sie weggegangen war. Seither hatte niemand im Haus darüber gesprochen, und Tobin hatte nie nachgefragt. Zu erfahren, dass der Geist seiner Mutter noch immer durch den Turm wandelte, war schlimm genug gewesen; wo sich ihr Körper befand, hatte keine Rolle für ihn gespielt.
    Als er nun jedoch in der Dunkelheit saß, ließ er sich durch den Kopf gehen, was Tharin gesagt hatte. Seine Mutter war in Ero.
    So wenig ihm von jenem Tag im Gedächtnis geblieben sein mochte, er wusste noch, dass der König abgereist gewesen war, als er wieder aus dem Bett durfte. Und auch seine Mutter war verschwunden gewesen.
    Wie ein winziger Saatstein, der in eine von Arkoniels alchemistische Lösungen fallen gelassen wurde, verfestigte der Gedanke Jahre halb wahrgenommener Erinnerungen zu einer einzigen, scharfkantigen Überzeugung: Der König hatte seine Mutter mitgenommen. Sein von Kummer umwölkter Verstand sorgte sich darüber wie über einen schlimmen Zahn, der zu sehr schmerzte, um ihn zu berühren.
    Nein , flüsterte Bruder in der Dunkelheit.
    »Meine Mama ist gestorben, als ich sechs war«, sagte Ki leise und holte Tobin zurück in die Gegenwart.
    »Wie?« Trotz all ihrer Gespräche hatten sie sich darüber noch nie unterhalten.
    »Sie hat sich den Fuß an einer Sense aufgeschnitten, und die Wunde wollte nicht verheilen.« Ein Hauch seines alten Landakzents schlich sich zurück in seine Stimme. »Ihr Bein wurde ganz schwarz, ihr Mund schwoll zu, und dann ist sie gestorben. Der

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