Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
sie dort bereits.
»Beeil dich, mein Schatz. Fürst Orun weigert sich, mit jemand anderem als dir zu sprechen, und er hat es mächtig eilig«, zeterte Nari, während sie die beiden Jungen in ihre besten Kittel steckte und ihnen die Blätter aus den Haaren kämmte. Sie sprach es zwar nicht aus, aber Tobin spürte auch so, dass sie von diesem Orun genauso wenig hielt, wie Koni es getan hatte. Ihm entging nicht, dass sie besorgt war und versuchte, es nicht zu zeigen. Tobin beugte sich vor und küsste sie auf die weiche Wange. »Mach dir keine Sorgen, Nari.«
Sie warf die Arme um ihn und drückte ihn fest. »Worüber sollte ich mir Sorgen machen, mein Liebling?«
Tobin befreite sich und wandte sich mit Ki und Koni an den Seiten der Halle zu, als wäre er der Herr des Hauses.
Beim Anblick der seltsamen Soldaten, die in dem großen Raum habacht standen, geriet er ein wenig ins Stocken. Auch Tharin und dessen Männer waren da, allerdings wirkten sie im Vergleich wie Pöbel. Die meisten trugen noch ihre schmutzigen Arbeitskleider statt der Uniformen und sahen nicht annähernd so prunkvoll wie die anderen aus, die rote und goldene Abzeichen auf der Brust ihrer schwarzen Wappenröcke trugen.
Rasch ließ Tobin den Blick über sie wandern; unter ihnen befanden sich mehrere mit blondem Haar, aber keiner in den Roben eines Zauberers.
Kaum war ihm der Gedanke durch den Kopf gegangen, erblickte er Bruder, der hinter einem der Soldaten hervorlugte, einem hellhaarigen Mann mit von der Sonne geröteten Wangen. Bruder berührte ihn nicht, starrte ihn nur an, bis der Mann das Gewicht verlagerte und sich beunruhigt umsah.
Vor den Soldaten standen zwei Männer in noch üppigerer Aufmachung, gesäumt von mehreren Dienern und Knappen. Derjenige der beiden in Stiefeln und staubigem Blau trug das Silberhorn und den weißen Staffelstab eines Herolds des Königs. Er trat vor und verneigte sich tief vor Tobin. »Prinz Tobin, ich gestatte mir, Euch einen Gesandten Eures Onkels, des Königs, vorzustellen. Fürst Orun, Sohn des Makiar, Schatzkanzler und Regent von Atyion und Cirna.«
Tobin erkaltete. Atyion und Cirna waren die Ländereien seines Vaters.
Fürst Orun trat seinerseits vor und verbeugte sich. Er trug eine kurze Robe aus zinnoberroter Seide mit aufwendig geschnittenen Ärmeln, gesäumt mit baumelnden Goldperlen. Die Röcke überzogen gestickte Bilder von Schlachten, doch Tobin bezweifelte, dass dieser Mann je ein Krieger gewesen war. Er war alt und sehr groß, aber weich und blass wie eine Frau. Den wulstigen, nass aussehenden Mund umgaben tiefe Furchen. Auf dem Kopf besaß er keinerlei Haar; sein breiter Hut aus gebauschter Seide wirkte wie ein auf ein gekochtes Ei gedrücktes Kissen. Mit den dicken Lippen lächelte er Tobin an, nicht jedoch mit den Augen. »Was habe ich mich danach gesehnt, endlich den Sohn von Ariani und Rhius kennen zu lernen!«, rief er aus und kam herbei, um Tobins Hand zu ergreifen. Seine riesigen Pranken fühlten sich unangenehm kühl und feucht wie Pilze an.
»Willkommen«, brachte Tobin hervor, der sich am liebsten von ihm losgerissen hätte und die Treppe hinauf geflüchtet wäre.
Oruns Augen wanderten zu Ki, und er beugte sich auf ihn zu. »Und wer ist dieser Bursche, mein Prinz? Der Junge Eures Jagdmeisters?«
»Das ist Prinz Tobins Knappe, Kirothius, Sohn von Sir Larenth, einem Ritter im Dienste von Fürst Jorvai«, meldete sich Tharin barsch zu Wort.
Oruns Lächeln verrückte. »Aber ich hatte gedacht … Das heißt, der König wusste nicht, dass ein Knappe für den Prinzen ausgewählt worden ist.«
»Herzog Rhius hat die Bande vor einiger Zeit gesegnet.«
Tharin redete in respektvollem Tonfall, dennoch spürte Tobin eine unausgesprochene Spannung hinter dem Wortwechsel.
Fürst Orun starrte Ki noch einen Augenblick an, dann gab er dem Herold ein Zeichen.
Darob legte dieser seinen Staffelstab vor Tobins Füße, verneigte sich abermals und holte ein eingerolltes, mit einem Siegel und allerlei Schleifen versehenes Pergament hervor. »Prinz Tobin, ich bringe Euch Kunde von Eurem Onkel, König Erius.«
Damit brach er das Siegel und rollte das Pergament mit einer schwungvollen Geste aus. »Von Erius von Ero, König von Skala, Kouros und den Nördlichen Gebieten, an Prinz Tobin von Ero in der Feste von Alestun, verfasst am neunten Tag des Monats Shemin.
Neffe, mit schwerem Herzen schreibe ich Dir vom Tod Deines Vaters, unseres geliebten Bruders Rhius. Dein Vater war mein geschätztester
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