Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Flachbäuchige Boote mit Pergamentsegeln gleiten flüsternd über einen staubigen, gemalten Hafen.
Nur der Palatin und jene, die innerhalb seiner Mauern und Irrgänge lebten, hat in meiner Erinnerung so Bestand, wie er war.
K APITEL 38
Tobin ritt am dreiundzwanzigsten Tag des Lenthin aus der Feste und schaute nicht zurück. Er hatte sich im Morgengrauen verabschiedet und die Frauen um ihn weinend zurückgelassen. Mit Ki und Tharin neben ihm, seines Vaters Asche am Sattelknauf und einer Kolonne Männern im Rücken wandte er sich gen Ero, fest entschlossen, die Ehre seiner Familie aufrechtzuerhalten, so gut er konnte.
Es hatte ihn überrascht, von Fürst Orun zu erfahren, dass der Ritt nur einen Tag dauern würde. Ohne schweres Gepäck, das sie aufhielt, legten sie lange Abschnitte im Galopp zurück und ließen Alestun bald hinter sich. Jenseits der Ortschaft mündete die vertraute Straße in eine andere, die zurück in den dunklen Wald führte. Nach mehreren Stunden wichen die Bäume einer weitläufigen, hügeligen Landschaft, überzogen von Flüssen und gesprenkelt mit großzügig verteilten Gehöften und Anwesen.
Fürst Orun bestand auf höfischem Protokoll, weshalb Tobin gezwungen war, an der Spitze neben ihm zu reiten, während Tharin und Ki mit dem Herold und den Bediensteten dahinter folgten. Die Männer aus der Feste, die nun als Prinz Tobins Garde bezeichnet wurden, befanden sich in der Kolonne mit den übrigen Soldaten. Tobin hatte zuvor nach dem verkleideten Zauberer unter ihnen Ausschau gehalten, ihn jedoch nicht entdeckt, bevor er seinen Platz im Tross einnehmen musste.
Mitte des Vormittags gelangten sie zu einem großen See, in dem sich die Wolken am Himmel und das prächtige Herrenhaus aus Stein an der gegenüberliegenden Seite spiegelten. Eine Herde Wildgänse schwamm darin und graste entlang der Ufer.
»Dieses Anwesen hat einst einer Tante deiner Mutter gehört«, erklärte Tharin, als sie daran vorbeiritten.
»Wem gehört es jetzt?«, fragte Tobin, der die Pracht des Ortes bewunderte.
»Dem König.«
»Ist Atyion auch so groß?«
»Nimm zehn solcher Anwesen zusammen, dann kommst du annähernd hin. Aber um Atyion erstreckt sich ein Dorf mit Feldern und richtigen Mauern.«
Als Tobin zurückblickte, stellte er fest, dass seine Berge hinter ihm bereits kleiner wurden. »Wie lange noch, bis wir in Ero eintreffen?«
»Wenn wir die Geschwindigkeit halten, würde ich sagen vor Sonnenuntergang, mein Prinz«, antwortete Fürst Orun.
Tobin gab Gosi die Sporen und fragte sich, wie Alestun ihm so weit entfernt erschienen sein konnte, wenn es in die Hauptstadt selbst nur ein Tagesritt war. Mit einem Mal fühlte sich die Welt deutlich kleiner an als zuvor.
Kurz nach Mittag gelangten sie durch eine Marktgemeinde namens Korma. Sie war größer als Alestun und wartete mit der üblichen Mischung aus Händlern und Bauern auf, die den Marktplatz bevölkerten, ferner mit einigen Aurënfaie, die aufwendig gewickelte, purpurne Kopftücher trugen. Einige davon gaben mit Leiern und Flöten Musik zum Besten.
Fürst Orun hielt an der größten Herberge, um die Pferde rasten zu lassen und um zu speisen. Der Herbergswirt verbeugte sich tief vor ihm, noch tiefer jedoch vor Tobin, als dieser ihm vorgestellt wurde. Ihr Gastgeber veranstaltete einen gehörigen Wirbel um Tobin, brachte ihm alles mögliche zu essen und weigerte sich, eine andere Bezahlung dafür anzunehmen als die, dass Tobin ihn in guter Erinnerung behielte. Tobin war solches Aufhebens nicht gewöhnt und daher froh, als sie wieder aufbrachen.
Danach ritten sie etwas gemächlicher durch die Hitze des Tages, und Fürst Orun nahm es auf sich, Tobin zu unterhalten. Er erzählte von den Königlichen Gefährten des Prinzen, deren Ausbildung und worauf sich Tobin an Vergnügungen freuen konnte.
Von ihm erfuhr Tobin, dass er sich alles kaufen konnte, was er wollte, indem er einfach das Siegel seines Vaters vorzeigte, das er immer noch um den Hals trug. Koni hatte die Kette für ihn gekürzt.
»O ja«, versicherte Orun ihm. »Feine Kleider, ein richtiges Schwert, Süßigkeiten, Jagdhunde, Spielvergnügen. Ein junger Mann Eures Ranges braucht Zerstreuung. Ein neuer Zeitvertreib, die Falknerei, wurde unlängst aus Aurënen eingeführt, wo man dies von den Zengati übernommen hatte. Man kann sich getrost darauf verlassen, dass die Aurënfaie derlei barbarische Dekadenz einschleppen! Aber gut, sie züchten edle Pferde. Jedenfalls sind die jungen Adeligen
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