Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
wurde. Du hast nicht genug Kraft im Arm, um mich zum Flennen zu bringen.«
Bestürzt starrte Tobin ihn an. »Ich werde dich nicht verletzen!«
Ki schüttelte den Kopf. »Du wirst es zumindest versuchen müssen. Wir müssen ihnen eine gute Aufführung bieten, wie wir es immer tun. Wenn sie finden, dass du zu sanftmütig mit mir umspringst, um mich im Zaum zu halten, könnte der König noch einmal darüber nachdenken, ob er mich als deinen Knappen bleiben lassen soll. Das hat Tharin gesagt. Ich habe ihn bereits gefragt. Also leg dich morgen tüchtig ins Zeug und zeig ihnen, dass wir hart wie eine Gebirgseiche sind.«
Mittlerweile zitterte Tobin. Ki stand auf und packte ihn an den Schultern. »Du tust das für uns, Tobin, damit wir zusammenbleiben können. Du willst doch nicht Moriel statt mir in diesem Zimmer haben, oder?«
»Nein«, antwortete Tobin, der sich alle Mühe gab, nicht in Tränen auszubrechen. Wenn Tharin sagte, dass sie Ki immer noch wegschicken konnten, dann musste es stimmen. »Aber Ki, ich will das nicht …«
»Das weiß ich. Es ist alles meine Schuld.« Er kniete sich vor Tobin, wie er es bei Tharin getan hatte. »Kannst du mir verzeihen?«
Tobin konnte es nicht ertragen. Weinend umarmte er Ki und drückte ihn an sich.
Ki erwiderte die Umarmung, doch seine Stimme ertönte hart, als er sagte: »Hör mir gut zu, Tobin. Morgen darfst du dich nicht so benehmen, verstanden? Genau das wollen sie, diese Dreckskerle. Gib ihnen nicht die Genugtuung!«
Tobin löste sich von Ki und schaute zu ihm auf; dieselben herzlichen, braunen Augen, dieselbe goldene Haut und dieselben vorstehenden Zähne unter dem dunklen Oberlippenflaum, aber plötzlich wirkte Ki beinah wie ein erwachsener Mann. »Hast du keine Angst?«
Ki stand auf und grinste ihn an. »Ich sagte doch schon, du kannst mir nicht wehtun. Du hättest mal sehen sollen, welche Abreibungen mein Vater uns früher verpasst hat. Bei Bilairys Hintern, wahrscheinlich werde ich eindösen, bevor du fertig bist. Und außerdem war es das wert, Mago endlich das widerwärtige Maul zu stopfen!«
Tobin versuchte, Kis Grinsen zu erwidern, doch es gelang ihm nicht.
K APITEL 45
Am nächsten Morgen regnete es noch immer. Sie rannten unter einen kalten, grauen Baldachin dichter Wolken zum Tempel. Tobin umklammerte die schwere Peitsche mit den Händen und versuchte, an nichts anderes zu denken als an den nassen Boden unter seinen Füßen; nicht an das heiße Stechen, das in seiner Seite poche, ebenso wenig an Ki, der wie ein stummer Schatten neben ihm lief.
Sie hatten beide nicht gut geschlafen, und als der Morgen graute, hatte es Tobin bestürzt, seinen Freund in eine Decke eingerollt auf dem Nischenbett am anderen Ende des Zimmers vorzufinden. Tobin hatte beinah vergessen gehabt, dass es überhaupt da war. Ki hatte etwas davon gemurmelt, unruhig gewesen zu sein, dann hatten sie sich beide schweigend angezogen.
An diesem Morgen waren sie unter den Ersten, die auftauchten, und Porion nahm Tobin beiseite, während sie unter dem Säulenvorbau auf das Eintreffen der übrigen Gefährten warteten.
Der Waffenmeister drückte Tobin eine Lederpeitsche in die Hände. Sie war etwa drei Fuß lang und so dick wie sein Daumen, besaß einen steifen Kern und einen Griff wie ein Schwert.
»Das ist kein Spielzeug«, warnte er. »Ki hat noch nicht die Muskeln eines Mannes. Schlägst du zu hart zu oder zu oft auf dieselbe Stelle, reißt du ihm das Fleisch bis auf die Knochen auf, und er muss tagelang das Bett hüten. Das will niemand. Stell dich für fünf Schläge auf seine linke Seite, für die anderen fünf auf die rechte, und lass Abstand zwischen den Hieben. Wenn du etwa so fest zuschlägst«, Porion klatschte den Griff der Peitsche gegen Tobins Handfläche, »spürt man es an der Spitze etwa zehn Mal so hart. Wenn du fertig bist, muss er dir kniend die Hand küssen und dich um Vergebung bitten.«
Tobin drehte sich bei dem Gedanken der Magen um.
Der Tempel der Vier tauchte vor ihnen aus dem Regenschleier auf, kantig und düster über den steilen Treppen. Er stand mitten im Palatinkreis und stellte zugleich einen Knotenpunkt für Geschäfte und die Anbetung der Götter dar. Um diese Zeit jedoch besuchten ihn vorwiegend Gläubige, die an den Altären im Inneren Opfergaben darbrachten.
Breite Stufen führten an jeder der vier Seiten des Tempels empor. Der Sakor-Altar befand sich im Westen, und auf jenen Stufen fanden sich die Gefährten für Kis Züchtigung ein,
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