Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
nachdem sie ihre eigenen Opferungen vorgenommen hatten. Der Sakor-Priester stand am offenen Eingang oben an der Treppe. »Wer hat den Frieden der Gefährten gebrochen und Schmach über den Namen seines Herrn gebracht?«, fragte er und erregte damit die Aufmerksamkeit einer kleinen Gruppe von Schaulustigen.
Tobin sah sich um. Überwiegend erblickte er Soldaten, aber auch Aliya und ihre Freundinnen waren da, vermummt mit Schleiern und Mänteln, um sich gegen den Regen zu schützen. Ebenso hatten sich Fürst Orun und Moriel eingefunden. Jedes Wohlwollen, das Tobin für den Jungen empfunden haben mochte, verpuffte, als er die Häme in dessen Augen erkannte. Tharin war nicht hier, auch sonst niemand aus Tobins Haushalt.
»Ich habe den Frieden gebrochen«, antwortete Ki mit lauter, fester Stimme. »Ich, Kirothius, Sohn des Larenth, unwürdiger Knappe von Prinz Tobin, bin schuldig, einen anderen Gefährten geschlagen zu haben. Ich stehe bereit, um meine Strafe zu empfangen.«
Die anderen Jungen bildeten auf der Treppe ein Viereck um sie, als Ki sein Wams und Hemd auszog. Dann kniete er sich hin, beugte sich vor und stützte sich mit den Hän den auf der Stufe über ihm ab. Tobin nahm seinen Platz zu Kis Rechter ein und brachte die Peitsche in Anschlag.
»Ich bitte dich um Vergebung, mein Prinz«, sagte Ki, dessen Stimme klar und deutlich durch die Morgenluft hallte.
Tobin ließ die Peitsche auf Kis Rücken ruhen, dann erstarrte er und konnte keine Luft in die Lungen bekommen. Er wusste, was von ihm erwartet wurde, wusste, dass Ki keinen Groll gegen ihn hegen würde und es kein Zurück gab. Aber als er auf jenen vertrauten Rücken mit dem goldenen Flaum entlang des Rückgrats und die berglöwenartigen Schulterblätter hinabblickte, die reglos unter der sonnengebräunten Haut lagen, glaubte er, nicht in der Lage zu sein, sich zu rühren. Dann flüsterte Ki: »Mach schon, Tobin. Lass es uns allen zeigen.«
Tobin versuchte, die Kraft abzuwägen, wie Porion es ihm gezeigt hatte, hob die Peitsche an und hieb sie auf Kis Schultern. Ki zuckte nicht einmal zusammen, aber ein zorniger, roter Striemen erschien, wo die Peitsche ihn getroffen hatte.
»Eins«, sagte Ki deutlich.
»Niemand erwartet von dir, dass du die Schläge zählst«, raunte ihm Porion zu.
Tobin ließ die Peitsche abermals niedersausen und zielte ein paar Zoll tiefer. Zu heftig; diesmal schauderte Ki, und Blutstropfen traten aus dem neuen Striemen aus.
»Zwei«, verkündete Ki genauso deutlich wie zuvor.
Jemand brummte etwas in der Menge. Tobin vermeinte, Oruns Stimme zu erkennen und hasste den Mann umso mehr.
Er schlug drei weitere Male auf dieser Seite zu und endete unmittelbar oberhalb von Kis Hüfte. Mittlerweile schwitzten sie beide, dennoch blieb Kis Stimme stet, als er jeden Hieb zählte.
Tobin wechselte die Seite und begann wieder in Schulterhöhe, indem er in entgegengesetzter Richtung zu den Striemen schlug, die er bereits verursacht hatte.
»Sechs«, sagte Ki, doch diesmal ertönte es als Zischen. Tobin hatte ihn erneut zum Bluten gebracht. Wo sich die beiden Striemen überschnitten, hatte die Peitsche sich ins Fleisch gegraben, und ein Blutrinnsal kroch auf Kis Achselhöhle zu.
Du siehst Blut …
Abermals drehte sich Tobin der leere Magen um. Sieben führte er zu leicht aus, acht und neun zu schnell, sodass Ki beim Zählen keuchte. Bei »Zehn« hörte sich seine Stimme ausgelaugt an, aber es war vorbei.
Ki kauerte sich auf die Fersen zurück und griff nach Tobins Hand. »Verzeih mir, mein Prinz, dass ich Schmach über dich gebracht habe.«
Bevor er die Finger küssen konnte, zog Tobin ihn auf die Füße und reichte ihm die Hand wie ein Krieger. »Ich vergebe dir, Ki.«
Verwirrt durch diese Abweichung vom Ritual, bückte sich Ki unsicher, um die Zeremonie abzuschließen, und drückte die Lippen auf Tobins Handrücken, während sie einander gegenüberstanden. Erneut ging ein Raunen durch die Menge. Tobin sah, dass sowohl Prinz Korin als auch Porion sie mit eigenartigen, aber anerkennenden Blicken bedachten.
Der Priester schien weniger erfreut über diesen Bruch der Tradition. Seine Stimme klang barsch, als er rief: »Komm her und lasse dich reinigen, Knappe Kirothius.«
Die Gefährten teilten sich, und Ki erklomm hoch erhobenen Hauptes die restlichen Stufen. Die zehn ungleichmäßigen Striemen schillerten wie Feuer auf seinem blutigen Rücken. Mago folgte ihm, um mit seiner Strafwache zu beginnen, und wirkte dabei deutlich weniger
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