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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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verboten, den Palatinkreis alleine zu verlassen, und er hatte noch nicht den Mut, Tharin unter die Augen zu treten. So verbrachte er den Rest des Tages stattdessen damit, im Regen durch die Zitadelle zu spazieren. Es war ein trübsinniger Zeitvertreib, der zu seiner Stimmung passte.
    Den Tempel mied er und redete sich ein, dass er Ki nicht in Verlegenheit bringen wollte, indem er seine Fastenwache störte. In Wahrheit jedoch fühlte er sich ohnehin noch nicht bereit, seinem Freund gegenüberzutreten. Die Erinnerung an die roten Striemen auf jenem glatten, braunen Rücken genügte, um ihm Galle in die Kehle steigen zu lassen.
    So kreiste er stattdessen um die Ufer von Königin Klias großem Teich und beobachtete, wie die silbrigen Fische nach Regentropfen hechteten. Dann folgte er dem langen Spazierweg zu Dalnas Hain über dem nördlichen Steilhang. Es handelte sich nur um ein paar Morgen mit Bäumen, doch sie waren so alt wie die Stadt selbst, und für kurze Zeit gelang es ihm, sich vorzustellen, er wäre wieder zu Hause und unterwegs zu Lhels Eiche. Die seltsame kleine Hexe fehlte ihm entsetzlich. Auch Nari und die Bediensteten der Feste vermisste er. Und sogar Arkoniel.
    In der Mitte des Hains stand ein Schrein mit einer Feuerstelle. Tobin fand in seinem Gürtelbeutel ein Holzschnitzerei und warf sie zusammen mit ein paar Tränen des Heimwehs in die Flammen … und betete darum, bald an den heimatlichen Herd zurückkehren zu können.
     
    Überall in der Zitadelle wurden gerade Lampen angezündet, als Tobin zufällig an der königlichen Gruft vorbeiging. Seit seiner Ankunft war er hier nicht mehr gewesen. Durchfroren und mit wunden Füßen trat er hinein, um sich an der Altarflamme zu wärmen.
    »Vater, du fehlst mir!«, flüsterte er, während er in das Feuer starrte. Lag es wirklich erst wenige Monate zurück, dass er gestorben war? Es schien unmöglich. Tobin hatte das Gefühl, sich schon seit Jahren in Ero aufzuhalten.
    Er zog sich die Kette vom Hals und legte sich das Siegel und den Ring seiner Mutter auf die Hand. Tränen ließen seine Sicht verschwimmen, als er auf die beiden Gesichtsumrisse auf dem Ring hinabblickte. Er vermisste sie beide. Im Augenblick wäre er sogar froh gewesen, seine Mutter mit einem ihrer schlimmen Anfälle zu sehen, wenn er nur wieder zu Hause und alles wie früher sein könnte.
    Tobin verspürte kein Verlagen, die Toten unten zu besuchen. Stattdessen sprach er ein Gebet für ihre Geister. Als er fertig war, fühlte er sich ein wenig besser.
    Inzwischen regnete es wieder heftiger. Er drehte sich um und betrachtete die Bildnisse der Königinnen Skalas, während er darauf wartete, dass der ärgste Schwall nachließ. Dabei überlegte er, ob er wohl den Geist, den er im Thronsaal gesehen hatte, abermals erkennen könnte.
    Als Künstler fielen ihm die unterschiedlichen Stile der Statuen auf. Die früheste, Ghërilain, die Begründerin, war eine steife, leblose Gestalt mit einem flachen Gesicht, bei der alle Kleider und aller Schmuck wie mit dem Körper verschmolzen wirkte, als hätte der Steinmetz nicht die Gabe besessen, sie vollends aus dem Stein zu befreien. Trotzdem erkannte er das Schwert Ghërilains in ihren in Panzerhandschuhen steckenden Händen – dasselbe Schwert, das all die anderen Statuen hielten. Nun trug es sein Onkel.
    Handelte es sich womöglich auch um dasselbe Schwert, das ihm jener Geist entgegengehalten hatte? Langsam drehte er sich auf der Stelle und musterte die Gesichter aus Stein. Welches war es gewesen? Denn eine Königin musste es zweifelsohne gewesen sein. Und falls es dieses Schwert gewesen war, das sie gehalten hatte, warum sollte sie es ihm anbieten?
    Rasch vergewisserte er sich, dass sich der Altarpriester nicht in der Nähe befand, dann flüsterte er: »Blut, mein Blut; Fleisch, mein Fleisch; Knochen, mein Knochen.«
    Bruder erschien und wirkte im Licht der Flammen durchscheinend. Schuldbewusst überlegte Tobin, wie lange es zurücklag, dass er ihn zuletzt gerufen hatte. Drei Tage? Eine Woche? Wahrscheinlich sogar länger. Da waren die Festtafeln, das Tanzen, das Üben und zuletzt die Aufregung um Ki gewesen. Was würde Lhel wohl sagen? Tobin mochte gar nicht daran denken.
    »Es tut mir leid, dass ich es vergessen habe«, flüsterte er. »Schau, hier sind die großen Königinnen. Erinnerst du dich an die in der Schatulle daheim? Das ist ihre Gruft. Ich habe eine von ihnen gesehen – ihren Geist. Weißt du, wer sie war?«
    Bruder umkreiste die Standbilder

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