Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
und betrachtete nacheinander jedes. Schließlich hielt er vor einem an und schien dort bleiben zu wollen.
»Ist sie das? Diejenige, die ich im Alten Palast gesehen habe?«
»Wie bitte, Prinz Tobin?«
Tobin wirbelte herum und erblickte den Zauberer des Königs, der neben dem Altar stand. »Fürst Niryn! Ihr habt mich erschreckt.«
Niryn verneigte sich. »Dasselbe könnte ich behaupten, mein Prinz. Ich hörte Euch sprechen, aber ich sehe hier keinen Zuhörer.«
»Ich – ich dachte, ich hätte im Alten Palast einmal einen Geist gesehen und habe mich gefragt, ob es eine der Königinnen gewesen sein könnte.«
»Aber Ihr habt laut gesprochen.«
Falls Niryn Brüder sehen konnte, ließ er es sich nicht anmerken. Tobin achtete darauf, den Geist nicht anzusehen, als er antwortete. »Führt Ihr nie Selbstgespräche, Herr?«
Niryn trat näher. »Manchmal vielleicht. Und? Erkennt Ihr Euren Geist hier?«
»Ich bin nicht sicher. Die Gesichter sind nicht besonders gut gelungen, findet Ihr nicht auch? Vielleicht diese hier.« Er deutete auf die Statue, vor der Bruder stand. »Wisst Ihr, wer Sie ist?«
»Königin Tamír, die Tochter von Königin Ghërilain, der Ersten, glaube ich.«
»Dann hat sie wohl auch allen Grund zu spuken«, meinte Tobin und versuchte, die ganze Angelegenheit herunterzuspielen. »Sie wurde von ihrem Bruder gemeuchelt«, fuhr er fort und gab aus Gewohnheit wieder, was ihn gelehrt worden war. »Pelis focht das Orakel an und riss den Thron an sich, aber Illior Lichtträger bestrafte das Land und tötete ihn.«
»Schweigt, Kind!«, rief Niryn aus und wob ein Zeichen in die Luft. »König Pelis hat seine Schwester nicht ermordet. Sie starb, und er war der einzige Thronerbe. Keine Königin wurde in Skala je ermordet, mein Prinz. Allein, etwas derartiges anzudeuten, ist äußerst unglücklich. Und Meuchelmörder töteten ihn, nicht die Götter. Eure Lehrer waren völlig falsch unterrichtet. Vielleicht wäre ein neuer Lehrmeister angebracht.«
»Verzeiht, Zauberer«, sagte Tobin, verdutzt über diesen unerwarteten Gefühlsausbruch. »Ich wollte diesen heiligen Ort nicht beleidigen.«
Die strenge Miene des Zauberers wurde etwas milder. »Ich bin sicher, die Schatten Eurer Ahnen haben Nachsicht mit ihrem jüngsten Nachkommen. Schließlich steht Ihr nach Prinz Korin an nächster Stelle der Thronfolge.«
»Ich?« Das war noch überraschender.
»Aber selbstverständlich. Die Brüder und Schwestern des Königs sind tot, und ihre Sprösslinge mit ihnen. Es gibt niemanden sonst mit solch engen Blutsbanden.«
»Aber Korin wird eigene Thronerben haben.« Tobin hatte sich nie vorgestellt, dass je er auf dem Thron Skalas sitzen könnte, nur, dass er ihm dienen würde.
»Zweifellos. Aber er ist noch ein junger Funke, und bisher hat keine seiner Liebeleien gefruchtet. Bis dahin steht Ihr an zweiter Stelle der Thronfolge. Haben Eure Eltern nie über derlei Dinge mit Euch gesprochen?«
Niryn lächelte auf eine Weise, die seine Augen nicht ganz erreichte, und Tobin verspürte ein eigenartiges, schleichendes Gefühl tief in seinem Innersten, als rühre jemand mit einem knochigen Finger in seinen Eingeweiden herum.
»Nein, Herr. Vater sagte nur, dass ich einst ein großer Krieger werden und meinem Vetter so dienen würde, wie er dem König diente.«
»Ein bewundernswertes Ansinnen. Ihr solltet Euch stets vor jedem hüten, der versucht, Euch von dem Pfad abzubringen, den Sakor Euch vorgegeben hat.«
»Herr?«
»Wir leben in ungewissen Zeiten, mein lieber Prinz. Dem Königshaus untreue Kräfte sind am Werk, Gruppen, die möchten, dass jemand anders als Agnalains Sohn herrscht. Sollte jemand dieser Gesinnung an Euch herantreten, so hoffe ich, Ihr werdet Eure Pflicht tun und Euch unverzüglich an mich wenden. Solche Treulosigkeit darf nicht geduldet werden.«
»Ist das, was Ihr und die Spürhunde tun, Herr?«, erkundigte Tobin sich. »Verräter zu jagen?«
»Ja, Prinz Tobin.« Die Stimme des Zauberers schien einen dunklen Klang anzunehmen und die gesamte Gruft auszufüllen. »Als Diener des Lichtträgers habe ich geschworen, für die Sicherheit der Kinder des Thelátimos auf dem Thron von Skala zu sorgen. Alle wahren Skalaner müssen dienen. Jegliche Falschheit muss mit der Flamme Sakors ausgerottet werden.«
Niryn fasste in das Altarfeuer und zog eine Handvoll Flammen daraus hervor. Sie ruhten auf seiner Handfläche wie Wasser.
Tobin wich einen Schritt zurück. Ihm missfiel der Widerschein dieses unnatürlichen
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