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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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komm mit Mama. Wir haben keine Zeit!«
    Sie zog ihn die Stufen hinauf und den Gang zur Turmtreppe entlang. Als sich Tobin diesmal zu befreien versuchte, stießen ihn unsichtbare Hände von hinten vorwärts. Die Tür flog vor ihnen auf und prallte so heftig gegen die Wand, dass ein Teil der Täfelung splitterte.
    Aufgeschreckte Vögel flatterten und kreischten rings um sie, als Ariani ihren Sohn die Treppe zum Turmzimmer hinaufbugsierte. Dessen Tür schlug geräuschvoll hinter ihnen zu, und der Weintisch segelte durch den Raum. Er verfehlte nur knapp Tobins Schulter, als er quer vor den Eingang prallte und ihm die Flucht versperrte. Staubige Wandbehänge flogen von den Wänden, und die Fensterläden schwangen weit auf. Sonnenlicht flutete von allen Seiten herein, dennoch blieb es in der Kammer düster und tödlich kalt. Von draußen hörten sie nunmehr eine große Gruppe von Reitern, die sich die Straße herauf näherte.
    Ariani ließ Tobin los, lief gehetzt auf und ab und weinte, wobei sie sich eine Hand auf den Mund presste. Tobin kauerte neben dem zerbrochenen Tisch. Dies war die Mutter, die er am besten kannte – verletzend und unberechenbar. Der Rest war eine Lüge gewesen.
    »Was sollen wir nur tun?«, heulte sie. »Er hat uns wieder gefunden. Er kann uns überall finden. Wir müssen fliehen! Lhel, du Miststück, du hast mir versprochen …«
    Das Rasseln von Pferdegeschirr wurde draußen lauter, und sie rannte zum Fenster, das auf den vorderen Hof zeigte. »Zu spät. Da ist er. Wie kann er nur? Wie kann er nur?«
    Tobin schlich neben sie, gerade nah genug, um über den Sims zu spähen. Sein Vater und eine Gruppe von Fremden in scharlachroten Mänteln stiegen gerade ab. Einer der Männer trug einen goldenen Helm, der in der Sonne wie eine Krone leuchtete.
    »Ist das der König, Mama?«
    Sie riss ihn zurück und drückte ihn so fest an sich, dass sein Gesicht gegen die Puppe gepresst wurde. Sie roch säuerlich und muffig.
    »Präg ihn dir ein«, flüsterte sie; er spürte, wie sie zitterte. »Präg ihn dir ein, den Mörder! Dein Vater hat ihn hergebracht. Aber diesmal bekommt er dich nicht.«
    Damit zog sie ihn zum gegenüberliegenden Fenster, das zu den Bergen im Westen hinauswies. Der Dämon kippte einen weiteren Tisch um, wodurch sich münderlose Puppen über den Boden ergossen. Seine Mutter wirbelte ob des Lärms herum, und Tobins Kopf prallte so heftig gegen die Kante des Steinsims, dass er sich benommen fühlte. Er spürte, wie er fiel, spürte, wie seine Mutter wieder an ihm zerrte, spürte Sonnenlicht und Wind auf dem Gesicht. Als er die Augen aufschlug, stellte er fest, dass er über den Fenstersims hinaushing und auf den gefrorenen Fluss hinabblickte.
    Genau wie beim letzten Mal, als sie ihn an diesen Ort mitgenommen hatte.
    Allerdings kauerte sie diesmal auf dem Sims neben ihm und wandte das tränenüberströmte Gesicht den Bergen zu, während sie ihn hinten am Kittel hielt und versuchte, ihn herauszuzerren.
    Aus dem Gleichgewicht geratend, fuchtelte er wild um sich, tastete nach irgendetwas – der Fensterlaibung, seiner Mutter Arm, ihren Kleidern –, um sich daran festzuklammern, doch seine Füße kippten bereits über seinen Kopf. Er sah, wie sich das dunkle Wasser gleich Tinte unter dem Eis bewegte. Seine Gedanken rasten voraus; würde das Eis zerbrechen, wenn er darauf aufschlug?
    Dann kreischte seine Mutter und stürzte an ihm vorbei; ihre Röcke und ihr offenes, schwarzes Haar bauschten sich um sie, als sie fiel. Den Bruchteil eines Lidschlags sahen sie einander dabei unmittelbar in die Augen, und Tobin hatte das Gefühl, als springe ein Blitz zwischen ihnen über, der sie unendlich kurz vereinte, von Auge zu Auge, von Herz zu Herz.
    Dann packte jemand Tobin am Knöchel und zerrte ihn unsanft zurück in die Kammer. Sein Kinn schlug gegen die Außenkante des Fenstersimses, und er wirbelte mit dem Geschmack von Blut im Mund hinab in Finsternis.
     
    Rhius und der König wollten gerade absteigen, als sie hinter der Feste ein Kreischen hervorhallen hörten.
    »Bei der Flamme! Ist das dieser Dämon?«, rief Erius aus und sah sich erschrocken um.
    Doch Rhius wusste, dass der Dämon keine Stimme besaß. Er drängte sich an den anderen Reitern vorbei, rannte zum Tor hinaus und sah vor seinem geistigen Auge, was er vorausahnen hätte müssen, was ihn für den Rest seines Lebens in seinen Träumen heimsuchen sollte: Ariani an einem hoch gelegenen Fenster, das fest verschlossen sein sollte, wo sie das

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